Über Pädagogik
Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß. Unter der Erziehung nämlich verstehen wir die Wartung (Verpflegung, Unterhaltung), Disciplin (Zucht) und Unterweisung nebst der Bildung. Demzufolge ist der Mensch Säugling, – Zögling, – und Lehrling.
Die Thiere gebrauchen ihre Kräfte, sobald sie deren nur welche haben, regelmässig, d. h. in der Art, dass sie ihnen selbst nicht schädlich werden. Es ist in der That bewundernswürdig, wenn man z. E. die jungen Schwalben wahrnimmt, die kaum aus den Eyern gekrochen, und noch blind sind, wie die es nichts desto weniger zu machen wissen, dass sie ihre Excremente aus dem Neste fallen lassen. Thiere brauchen daher keine Wartung, höchstens Futter, Erwärmung und Anführung, oder einen gewissen Schutz. Ernährung brauchen wohl die meisten Thiere, aber keine Wartung. Unter Wartung nämlich versteht man die Vorsorge der Eltern, daß die Kinder keinen schädlichen Gebrauch von ihren Kräften machen. Sollte ein Thier z. E. gleich, wenn es auf die Welt kommt, schreyen, wie die Kinder es thun: so würde es unfehlbar der Raub der Wölfe und anderer wilden Thiere werden, die es durch sein Geschrey herbeygelockt.
Disciplin oder Zucht ändert die Thierheit in die Menschheit um. Ein Thier ist schon alles durch seinen Instinkt; eine fremde Vernunft hat bereits Alles für dasselbe besorgt. Der Mensch aber braucht eigene Vernunft. Er hat keinen Instinkt, und muss sich selbst den Plan seines Verhaltens machen. Weil er aber nicht sogleich imstande ist, dieses zu thun, sondern roh auf die Welt kommt: so müssen es Andere für ihn thun.
Die Menschengattung soll die ganze Naturanlage der Menschheit, durch ihre eigne Bemühung, nach und nach von selbst herausbringen. Eine Generation erzieht die andere. Den ersten Anfang kann man dabey in einem rohen, oder auch in einem vollkommnen, ausgebildeten Zustande suchen. Wenn dieser letztere als vorher und zuerst gewesen angenommen wird: so muß der Mensch doch nachmals wiedert verwildert und in Rohigkeit verfallen seyn.
Disciplin verhütet, daß der Mensch nicht durch seine thierischen Antriebe von seiner Bestimmung, der Menschheit, abweiche. Sie muß ihn z. E. einschränken, daß er sich nicht wild und unbesonnen in Gefahren begebe. Zucht ist also blos negativ, nämlich die Handlung, wodurch man dem Menschen die Wildheit benimmt, Unterweisung hingegen ist der positive Theil der Erziehung.
Wildheit ist die Unabhängigkeit von Gesetzen. Disciplin unterwirft den Menschen den Gesetzen der Menschheit, und fängt an, ihm den Zwang der Gesetze fühlen zu lassen. Dieses muß aber frühe geschehen. So schickt man z. E. Kinder Anfangs in die Schule, nicht schon in der Absicht, damit sie dort etwas lernen sollen, sondern damit sie sich daran gewöhnen mögen, still zu sitzen, und pünktlich das zu beobachten, was ihnen vorgeschrieben wird, damit sie nicht in Zukunft, jeden ihrer Einfälle würklich auch und augenblicklich in Ausübung bringen mögen.
Der Mensch hat aber von Natur einen so großen Hang zur Freyheit, daß, wenn er erst eine Zeitlang an sie gewöhnt ist, er ihr Alles aufopfert. Ebendaher muß denn die Disciplin auch, wie gesagt, sehr frühe in Anwendung gebracht werden, denn wenn das nicht geschieht, so ist es schwer, den Menschen nachher zu ändern. Er folgt dann jeder Laune. Man sieht es auch an den wilden Nationen, daß, wenn sie gleich den Europäern längere Zeit hindurch Dienste thun, sie sich doch nie an ihre Lebensart gewöhnen. Bey ihnen ist dieses aber nicht ein edler Hang zur Freyheit, wie Roussenau und Andere meinen, sondern eine gewisse Rohigkeit, indem das Thier hier gewissermaßen die Menschheit noch nicht in sich entwickelt hat. Daher muß der Mensch frühe gewöhnt werden, sich den Vorschriften der Vernunft zu unterwerfen. Wenn man ihm in der Jugend seinen Willen gelassen und ihm da nichts widerstanden hat: so behält er eine gewisse Wildheit durch sein ganzes Leben. Und es hilft denen auch nicht, die durch allzugroße mütterliche Zärtlichkeit in der Jugend geschont werden, denn es wird ihnen weiterhin nur desto mehr von allen Seiten her, widerstanden, und überall bekommen sie Stöße, sobald sie sich in die Geschäfte der Welt einlassen.
Dieses ist ein gewöhnlicher Fehler bey der Erziehung der Großen, daß man ihnen, weil sie zum Herrschen bestimmt, auch in der Jugend nie eigentlich widersteht. Bey dem Menschen ist, wegen seines Hanges zur Freyheit, eine Abschleifung seiner Rohigkeit nöthig; bey dem Thier hingegen wegen seines Instinktes nicht.
Der Mensch braucht Wartung und Bildung. Bildung begreift unter sich Zucht und Unterweisung. Diese braucht, soviel man weiß, kein Thier. Denn keins derselben lernt etwas von den Alten, außer die Vögel ihren Gesang. Hierin werden sie von den Alten unterrichtet, und es ist rührend anzusehen, wenn, wie in einer Schule, die Alte ihren Jungen aus allen Kräften vorsingt, und diese sich bemühen, aus ihren kleinen Kehlen dieselben Töne herauszubringen. Um sich zu überzeugen, daß die Vögel nicht aus Instinkt singen, sondern es würklich lernen, lohnt es der Mühe, die Probe zu machen, und etwa die Hälfte von ihren Eyern den Kanarienvögeln wegzunehmen, und ihnen Sperlingseyer unterzulegen, oder auch wohl die ganz jungen Sperlinge mit ihren Jungen zu vertauschen. Bringt man diese nun in eine Stube, wo sie die Sperlinge nicht draußen hören können: so lernen sie den Gesang der Kanarienvögel, und man bekommt singende Sperlinge. Es ist auch in der That sehr zu bewundern, daß jede Vogelgattung durch alle Generationen einen gewissen Hauptgesang behält, und die Tradition des Gesanges ist wohl die treueste in der Welt[1].
Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht. Es ist zu bemerken, daß der Mensch nur durch Menschen erzogen wird, durch Menschen, die ebenfalls erzogen sind. Daher macht auch Mangel an Disciplin und Unterweisung bey einigen Menschen sie wieder zu schlechten Erziehern ihrer Zöglinge. Wenn einmal ein Wesen höherer Art sich unserer Erziehung annähme, so würde man doch sehen, was aus dem Menschen werden könne. Da die Erziehung aber, theils den Menschen einiges lehrt, theils einiges auch nur bey ihm entwickelt: so kann man nicht wissen, wie weit bey ihm die Naturanlagen gehen. Würde hier wenigstens ein Experiment durch Unterstützung der Großen, und durch die vereinigten Kräfte Vieler gemacht: so würde auch das schon uns Aufschlüsse darüber geben, wie weit es der Mensch etwa zu bringen vermöge. Aber es ist für den spekulativen Kopf eine eben so wichtige, als für den Menschenfreund eine traurige Bemerkung, zu sehen, wie die Großen meistens nur immer für sich sorgen, und nicht an dem wichtigen Experimente der Erziehung in der Art Theil nehmen, daß die Natur einen Schritt näher zur Vollkommenheit thue.
Es ist Niemand, der nicht in seiner Jugend verwahrloset wäre, und es im reiferen Alter nicht selbst einsehen sollte, worinn, es sey in der Disciplin, oder in der Kultur, (so kann man die Unterweisung nennen) er vernachlässigt worden. Derjenige, der nicht kultivirt ist, ist wild. Verabsäumung der Disciplin ist ein größeres Uebel, als Verabsäumung der Kultur, denn diese kann noch weiterhin nachgeholt werden; Wildheit aber läßt sich nicht wegbringen, und ein Versehen in der Disciplin kann nie ersetzt werden. Vielleicht, daß die Erziehung immer besser werden, und daß jede folgende Generation einen Schritt näher thun wird zur Vervollkommnung der Menschheit; denn hinter der Education steckt das große Geheimniß der Vollkommenheit der menschlichen Natur. Von jetzt an kann dieses geschehen. Denn nun erst fängt man an, richtig zu urtheilen, und deutlich einzusehen, was eigentlich zu einer guten Erziehung gehöre. Es ist entzückend sich vorzustellen, daß die menschliche Natur immer besser durch Erziehung werde entwickelt werden, und daß man diese in eine Form bringen kann, die der Menschheit angemessen ist. Dies eröffnet uns den Prospekt zu einem künftigen glücklichen Menschengeschlechte. –
Ein Entwurf zu einer Theorie der Erziehung ist ein herrliches Ideal, und es schadet nichts, wenn wir auch nicht gleich im Stande sind, es zu realisiren. Man muß nur nicht gleich die Idee für schimärisch halten, und sie als einen schönen Traum verrufen, wenn auch Hindernisse bey ihrer Ausführung eintreten.
Eine Idee ist nichts anderes, als der Begriff von einer Vollkommenheit, die sich in der Erfahrung noch nicht vorfindet. Z. E. die Idee einer vollkommnen, nach Regeln der Gerechtigkeit regierten Republik! Ist sie deßwegen unmöglich? Erst muß unsere Idee nur richtig seyn, und dann ist sie bey allen Hindernissen, die ihrer Ausführung noch im Wege stehen, gar nicht unmöglich. Wenn z. E. ein jeder löge, wäre deßhalb das Wahrreden eine bloße Grille? Und die Idee einer Erziehung, die alle Naturanlagen im Menschen entwickelt, ist allerdings wahrhaft.
Bey der jetzigen Erziehung erreicht der Mensch nicht ganz den Zweck seines Daseyns. Denn wie verschieden leben die Menschen! Eine Gleichförmigkeit unter ihnen kann nur Statt finden, wenn sie nach einerley Grundsätzen handeln, und diese Grundsätze müßten ihnen zur andern Natur werden. Wir kennen an dem Plane einer zweckmäßigeren Erziehung arbeiten, und eine Anweisung zu ihr der Nachkommenschaft überliefern, die sie nach und nach realisiren kann. Man sieht z. B. an den Aurikeln, daß, wenn man sie aus der Wurzel zieht, man sie alle nur von einer und derselben Farbe bekommt; wenn man dagegen aber ihren Saamen aussäet: so bekommt man sie von ganz andern und den verschiedensten Farben. Die Natur hat also doch die Keime in sie gelegt, und es kömmt nur auf das gehörige Säen und Verpflanzen an, um diese in ihnen zu entwickeln. So auch bey dem Menschen!
Es liegen viele Keime in der Menschheit, und nun ist es unsere Sache, die Naturanlagen proportionirlich zu entwickeln, und die Menschheit aus ihren Keimen zu entfalten, und zu machen, daß der Mensch seine Bestimmung erreiche. Die Thiere erfüllen diese von selbst, und ohne daß sie sie kennen. Der Mensch muß erst suchen, sie zu erreichen, dieses kann aber nicht geschehen, wenn er nicht einmal einen Begriff von seiner Bestimmung hat. Bey dem Individuo ist die Erreichung der Bestimmung auch gänzlich unmöglich. Wenn wir ein würklich ausgebildetes erstes Menschenpaar annehmen, so wollen wir doch sehen, wie es seine Zöglinge erzieht. Die ersten Eltern geben den Kindern schon ein Beyspiel, die Kinder ahmen es nach, und so entwickeln sich einige Naturanlagen. Alle können nicht auf diese Art ausgebildet werden, denn es sind meistens alles nur Gelegenheitsumstände, bey denen die Kinder Beyspiele sehen. Vormals hatten die Menschen keinen Begriff einmal von der Vollkommenheit, die die menschliche Natur erreichen kann. Wir selbst sind noch nicht einmal mit diesem Begriffe auf dem Reinen. Soviel ist aber gewiß, daß nicht einzelne Menschen, bey aller Bildung ihrer Zöglinge, es dahin bringen können, daß dieselben ihre Bestimmung erreichen. Nicht einzelne Menschen, sondern die Menschengattung soll dahin gelangen[2].
Die Erziehung ist eine Kunst, deren Ausübung durch viele Generationen vervollkommnet werden muß. Jede Generation, versehen mit den Kenntnissen der vorhergehenden, kann immer mehr eine Erziehung zu Stande bringen, die alle Naturanlagen des Menschen proportionirlich und zweckmäßig entwickelt, und so die ganze Menschengattung zu ihrer Bestimmung führt. – Die Vorsehung hat gewollt, daß der Mensch das Gute aus sich selbst herausbringen soll, und spricht, so zu sagen, zum Menschen: „Gehe in die Welt, – so etwa könnte der Schöpfer den Menschen anreden! – „ich habe dich ausgerüstet mit allen Anlagen zum Guten. Dir kömmt es zu, sie zu entwickeln, und so hängt dein eignes Glück und Unglück von dir selbst ab.“ –
Der Mensch soll seine Anlagen zum Guten erst entwickeln; die Vorsehung hat sie nicht schon fertig in ihn gelegt; es sind bloße Anlagen und ohne den Unterschied der Moralität. Sich selbst besser machen, sich selbst kultiviren, und wenn er böse ist, Moralität bey sich hervorbringen, das soll der Mensch. Wenn man das aber reiflich überdenkt, so findet man, daß dieses sehr schwer sey. Daher ist die Erziehung das größeste Problem, und das schwerste, was dem Menschen kann aufgegeben werden. Denn Einsicht hängt von der Erziehung, und Erziehung hängt wieder von der Einsicht ab. Daher kann die Erziehung auch nur nach und nach einen Schritt vorwärts thun, und nur dadurch, daß eine Generation, ihre Erfahrungen und Kenntnisse der folgenden überliefert, diese wieder etwas hinzu thut, und es so der folgenden übergiebt, kann ein richtiger Begriff von der Erziehungsart entspringen. Welche große Kultur und Erfahrung setzt also nicht dieser Begriff voraus? Er konnte demnach auch nur spät entstehen, und wir selbst haben ihn noch nicht ganz ins Reine gebracht. Ob die Erziehung im Einzelnen, wohl der Ausbildung der Menschheit im Allgemeinen, durch ihre verschiedenen Generationen, nachahmen soll?
Zwey Erfindungen der Menschen kann man wohl als die schweresten ansehen; die der Regierungs- und die der Erziehungskunst nämlich, und doch ist man selbst in ihrer Idee noch streitig.
Von wo fangen wir nun aber an, die menschlichen Anlagen zu entwickeln? Sollen wir von dem rohen, oder von einem schon ausgebildeten Zustande anfangen! Es ist schwer, sich eine Entwickelung aus der Roheit zu denken, (daher ist auch der Begriff des ersten Menschen so schwer) und wir sehen, daß bey einer entwickelung aus einem solchen Zustande, man doch immer wieder in Rohigkeit zurück gefallen ist, und dann erst sich wieder aufs neue aus demselben emporgehoben hat. Auch bey sehr gesitteten Völkern finden wir in den frühesten Nachrichten, die sie uns aufgezeichnet hinterlassen haben, – und wie viele Kultur gehört nicht schon zum Schreiben? so daß man in Rücksicht auf gesittete Menschen, den Anfang der Schreibekunst den Anfang der Welt nennen könnte – Ein starkes Angränzen an Rohigkeit.
Weil die Entwickelung der Naturanlagen bey dem Menschen nicht von selbst geschieht, so ist alle Erziehung – eine Kunst. – Die Natur hat dazu keinen Instinkt in ihn gelegt. – Der Ursprung sowohl, als der Fortgang dieser Kunst, ist entweder mechanisch, ohne Plan, nach gegebenen Umständen geordnet, oder judiciös. Mechanisch entspringt die Erziehungskunst blos bey vorkommenden Gelegenheiten, wo wir erfahren, ob etwas dem Menschen schädlich, oder nützlich sey. Alle Erziehungskunst, die blos mechanisch entspringt, muß sehr viele Fehler und Mängel an sich tragen, weil sie keinen Plan zum Grunde hat. Die Erziehungskunst oder Pädagogik muß also judiciös werden, wenn sie die menschliche Natur so entwickeln soll, daß sie ihre Bestimmung erreiche. Schon erzogene Eltern sind Beyspiele, nach denen sich die Kinder bilden, zur Nachachtung. Aber wenn diese besser werden sollen: so muss die Pädagogik ein Studium werden, sonst ist nichts von ihr zu hoffen, und ein in der Erziehung Verdorbener erzieht sonst den andern. Der Mechanismus in der Erziehungskunst muss in Wissenschaft verwandelt werden, sonst wird sie nie ein zusammenhängendes Bestreben werden, und eine Generation möchte niederreissen, was die andere schon aufgebaut hätte.
Ein Prinzip der Erziehungskunst, das besonders solche Männer, die Pläne zur Erziehung machen, vor Augen haben sollten, ist: Kinder sollen nicht dem gegenwärtigen, sondern dem zukünftig möglich bessern Zustande des menschlichen Geschlechts, das ist: der Idee der Menschheit und deren ganzer Bestimmung angemessen, erzogen werden. Dieses Prinzip ist von großer Wichtigkeit. Eltern erziehen gemeiniglich ihre Kinder nur so, daß sie in die gegenwärtige Welt, sey sie auch verderbt, passen. Sie sollten sie aber besser erziehen, damit ein zukünftiger besserer Zustand dadurch hervorgebracht werde. Es finden sich hier aber zwei Hindernisse:
1) Die Eltern nämlich sorgen gemeiniglich nur dafür, daß ihre Kinder gut in der Welt fortkommen, und 2) die Fürsten betrachten ihre Unterthanen nur wie Instrumente zu ihren Absichten.
Eltern sorgen für das Haus, Fürsten für den Staat. Beyde haben nicht das Weltbeste und die Vollkommenheit, dazu die Menschheit bestimmt ist, und wozu sie auch die Anlage hat, zum Endzwecke. Die Anlage zu einem Erziehungsplane muß aber kosmopolitisch gemacht werden. Und ist denn das Weltbeste eine Idee, die uns in unserem Privatbesten kann schädlich seyn? Niemals! denn wenn es gleich scheint, daß man bei ihr etwas aufopfern müsse; so befördert man doch nichts desto weniger durch sie immer auch das Beste seines gegenwärtigen Zustandes. Und dann, welche herrliche Folgen begleiten sie! Gute Erziehung ist gerade das, woraus alles Gute in der Welt entspringt. Die Keime, die im Menschen liegen, müssen nur immer mehr entwickelt werden. Denn die Gründe zum Bösen findet man nicht in den Naturanlagen des Menschen. Das nur ist die Ursache des Bösen, das die Natur nicht unter Regeln gebracht wird. Im Menschen liegen nur Keime zum Guten.[3]
Wo soll der bessere Zustand der Welt nun aber herkommen? Von den Fürsten oder von den Unterthanen? daß diese nämlich sich erst selbst bessern, und einer guten Regierung auf dem halben Wege entgegenkommen? soll er von den Fürsten begründet werden: so muss erst die Erziehung der Prinzen besser werden, die geraume Zeit hindurch noch immer den großen Fehler hatte, daß man ihnen in der Jugend nicht widerstand. Ein Baum aber, der auf dem Felde allein steht, wächst krumm, und breitet seine Aeste weit aus; ein Baum hingegen, der mitten im Walde stehet, wächst, weil die Bäume neben ihm widerstehen, gerade auf, und sucht Luft und Sonne über sich. So ist es auch mit den Fürsten. Doch ist es noch immer besser, daß sie von jemand aus der Zahl der Unterthanen erzogen werden, als wenn sie von Ihresgleichen erzogen würden: Das Gute dürfen wir also von oben her nur in dem Falle erwarten, daß die Erziehung dort, die vorzüglichere ist! Daher kommt es hier denn hauptsächlich auf Privatbemühungen an, und nicht sowohl auf das Zuthun der Fürsten, wie Basedow und Andere meynten, denn die Erfahrung lehrt es, daß sie zunächst nicht sowohl das Weltbeste, als vielmehr nur das Wohl ihres Staates zur Absicht haben, damit sie ihre Zwecke erreichen. Geben sie aber das Geld dazu her: so muß es ja ihnen auch anheimgestellt bleiben, dazu den Plan vorzuzeichnen. So ist es in Allem, was die Ausbildung des menschlichen Geistes, die Erweiterung menschlicher Kenntnisse betrifft. Macht und Geld schaffen es nicht, erleichtern es höchstens. Aber sie könnten es schaffen, wenn die Staatsöconomie nicht für die Reichskasse nur im Voraus die Zinsen berechnete. Auch Academieen thaten es bisher nicht, und daß sie es noch thun werden, dazu war der Anschein nie geringer, als jetzt.
Demnach sollte auch die Einrichtung der Schulen blos von dem Urtheile der aufgeklärtesten Kenner abhängen. Alle Kultur fängt von dem Privatmanne an, und breitet von daher sich aus. Blos durch die Bemühung der Personen von extendirten Neigungen, die Antheil an dem Weltbesten nehmen, und der Idee eines zukünftigen bessern Zustandes fähig sind, ist die allmählige Annäherung der menschlichen Natur zu ihrem Zwecke möglich. Siehet hin und wieder doch noch mancher Große sein Volk gleichsam nur für einen Theil des Naturreiches an, und richtet also auch nur darauf sein Augenmerk, daß es fortgepflanzt werde. Höchstens verlangt man dann auch noch Geschicklichkeit, aber blos um die Unterthanen desto besser als Werkzeug zu seinen Absichten gebrauchen zu können. Privatmänner müssen freylich auch zuerst den Naturzweck vor Augen haben, aber dann auch besonders auf die Entwickelung der Menschheit und dahin sehen, daß sie nicht nur geschickt, sondern auch gesittet werde, und, welches das schwerste ist, daß sie suchen, die Nachkommenschaft weiter zu bringen, als sie selbst gekommen sind.
Bey der Erziehung muß der Mensch also 1) disciplinirt werden. Discipliniren heißt suchen zu verhüten, daß die Thierheit nicht der Menschheit, in dem einzelnen sowohl, als gesellschaftlichen Menschen, zum Schaden gereiche. Disciplin ist also blos Bezähmung der Wildheit.
2) Muß der Mensch kultivirt werden. Kultur begreift unter sich die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit. Diese ist der Besitz eines Vermögens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist. Sie bestimmt also gar keine Zwecke, sondern überläßt das nachher den Umständen.
Einige Geschicklichkeiten sind in allen Fällen gut, z. E. das Lesen und Schreiben; andere nur zu einigen Zwecken, z. E. die Musik, um uns beliebt zu machen. Wegen der Menge der Zwecke wird die Geschicklichkeit gewissermaßen unendlich.
3) Muß man darauf sehen, daß der Mensch auch klug werde, in die menschliche Gesellschaft passe, daß er beliebt sey, und Einfluß habe. Hiezu gehört eine gewisse Art von Kultur, die man Civilisirung nennt. Zu derselben sind Manieren, Artigkeit und eine gewisse Klugheit erforderlich, der zufolge man alle Menschen zu seinen Endzwecken gebrauchen kann. Sie richtet sich nach dem wandelbaren Geschmacke jedes Zeitalters. So liebte man noch vor wenigen Jahrzehenden Cäremonien im Umgange.
4) Muß man auf die Moralisirung sehen. Der Mensch soll nicht blos zu allerley Zwecken geschickt seyn, sondern auch die Gesinnung bekommen, daß er nur lauter gute Zwecke erwähle. Gute Zwecke sind diejenigen, die nothwendigerweise von Jedermann gebilliget werden; und die auch zu gleicher Zeit Jedermanns Zwecke seyn können.
Der Mensch kann entweder blos dressirt, abgerichtet, mechanisch unterwiesen, oder würklich aufgeklärt werden. Man dressirt Hunde, Pferde, und man kann auch Menschen dressiren. (Dieses Wort kommt aus dem Englischen her, von to dress, kleiden. Daher auch Dreßkammer, der Ort, wo die Prediger sich umkleiden, und nicht Trostkammer.)
Mit dem Dressiren aber ist es noch nicht ausgerichtet, sondern es kommt vorzüglich darauf an, daß Kinder denken lernen. Das geht auf die Prinzipien hinaus, aus denen alle Handlungen entspringen. Man sieht also, daß bei einer ächten Erziehung sehr Vieles zu thun ist. Gewöhnlich wird aber bey der Privaterziehung das vierte wichtigste Stück noch wenig in Ausübung gebracht, denn man erzieht die Kinder im Wesentlichen so, daß man die Moralisirung dem Prediger überläßt. Wie unendlich wichtig ist es aber nicht, die Kinder von Jugend auf das Laster verabscheuen zu lehren, nicht gerade allein aus dem Grunde, weil Gott es verboten hat, sondern weil es in sich selbst verabscheuungswürdig ist[4]. Sonst nämlich kommen sie leicht auf die Gedanken, daß sie es wohl immer würden ausüben können, und daß es übrigens wohl würde erlaubt seyn, wenn Gott es nur nicht verboten hätte, und daß Gott daher wohl einmal eine Ausnahme machen könne. Gott ist das heiligste Wesen, und will nur das, was gut ist, und verlangt, daß wir die Tugend ihres innern Werthes wegen, ausüben sollen, und nicht deswegen, weil er es verlangt.
Wir leben im Zeitpunkte der Disciplinirung, Kultur und Civilisirung, aber noch lange nicht in dem Zeitpunkte der Moralisirung. Bey dem jetzigen Zustande der Menschen kann man sagen, daß das Glück der Staaten zugleich mit dem Elende der Menschen wachse. Und es ist noch die Frage, ob wir im rohen Zustande, da alle diese Kultur bey uns nicht Statt fände, nicht glücklicher, als in unserem jetzigen Zustande seyn würden? Denn wie kann man Menschen glücklich machen, wenn man sie nicht sittlich und weise macht? Die Quantität des Bösen wird dann nicht vermindert.
Erst muß man Experimentalschulen errichten, ehe man Normalschulen errichten kann. Die Erziehung und Unterweisung muß nicht blos mechanisch seyn, sondern auf Prinzipien beruhen. Doch darf sie auch nicht blos raisonnirend, sondern gleich, in gewisser Weise, Mechanismus seyn. In Oesterreich gab es meistens nur Normalschulen, die nach einem Plan errichtet waren, wider den vieles mit Grunde gesagt wurde, und dem man besonders blinden Mechanismus vorwerfen konnte. Nach diesen Normalschulen mußten sich denn alle andere richten, und man weigerte sich sogar, Leute zu befördern, die nicht in diesen Schulen gewesen waren. Solche Vorschriften zeigen, wie sehr die Regierung sich hiermit befasse, und bey einem dergleichen Zwange kann wohl unmöglich etwas Gutes gedeihen.
Man bildet sich zwar insgemein ein, daß Experimente bey der Erziehung nicht nöthig wären, und daß man schon aus der Vernunft urtheilen könne, ob etwas gut, oder nicht gut seyn werde. Man irrt hierin aber sehr, und die Erfahrung lehrt, daß sich oft bei unsern Versuchen ganz entgegengesetzte Wirkungen zeigen, von denen, die man erwartete. Man sieht also, daß, da es auf Experimente ankommt, kein Menschenalter einen völligen Erziehungsplan darstellen kann. Die einzige Experimentalschule, die hier gewissermaßen den Anfang machte, die Bahn zu brechen, war das Dessauische Institut. Man muß ihm diesen Ruhm lassen, ohngeachtet der vielen Fehler, die man ihm zum Vorwurfe machen könnte; Fehler, die sich bey allen Schlüssen, die man aus Versuchen macht, vorfinden, daß nämlich noch immer neue Versuche dazu gehören. Es war in gewisser Weise die einzige Schule, bey der die Lehrer die Freyheit hatten, nach eigenen Methoden und Planen zu arbeiten, und wo sie unter sich sowohl, als auch mit allen Gelehrten in Deutschland in Verbindung standen.
Die Erziehung schließen Versorgung und Bildung in sich. Diese ist 1) negativ, die Disciplin, die blos Fehler abhält. 2) positiv, die Unterweisung und Anführung, und gehört in so ferne zur Kultur. Anführung ist die Leitung in der Ausübung desjenigen, was man gelehrt hat. Daher entsteht der Unterschied zwischen Informator, der blos ein Lehrer, und Hofmeister, der ein Führer ist. Jener erzieht blos für die Schule, dieser für das Leben.
Die erste Epoche bei dem Zöglinge ist die, da er Unterwürfigkeit und einen passiven Gehorsam beweisen muß; die andere, da man ihm schon einen Gebrauch von der Ueberlegung und seiner Freyheit, doch unter Gesetzen, machen läßt. In der ersten ist ein mechanischer, in der andern ein moralischer Zwang.
Die Erziehung ist entweder eine Privat- oder eine öffentliche Erziehung. Letztere betrifft nur die Information, und diese kann immer öffentlich bleiben. Die Ausübung der Vorschriften wird der erstern überlassen. Eine vollständige öffentliche Erziehung ist diejenige, die beydes, Unterweisung und moralische Bildung, vereinigt. Ihr Zweck ist: Beförderung einer guten Privaterziehung. Eine Schule, in der dieses geschieht, nennt man ein Erziehungsinstitut. Solcher Institute können nicht viele, und die Anzahl der Zöglinge in denselben, kann nicht groß seyn, weil sie sehr kostbar sind, und ihre bloße Einrichtung schon sehr vieles Geld erfordert. Es verhält sich mit ihnen, wie mit den Armenhäusern und Hospitälern. Die Gebäude, die dazu erfordert werden, die Besoldung der Direktoren, Aufseher und Bedienten, nehmen schon die Hälfte von dem dazu ausgesetzten Gelde weg, und es ist ausgemacht, daß, wenn man dieses Geld den Armen in ihre Häuser schickte, sie viel besser verpflegt werden würden. Daher ist es auch schwer, daß andere, als blos reicher Leute Kinder, an solchen Instituten Theil nehmen können.
Der Zweck solcher öffentlicher Institute ist: die Vervollkommnung der häuslichen Erziehung. Wenn erst nur die Eltern, oder andere, die ihre Mitgehülfen in der Erziehung sind, gut erzogen wären: so könnte der Aufwand der öffentlichen Institute wegfallen. In ihnen sollen Versuche gemacht, und Subjekte gebildet werden, und so soll aus ihnen dann eine gute häusliche Erziehung entspringen.
Die Privaterziehung besorgen entweder die Eltern selbst, oder, da diese bisweilen nicht Zeit, Fähigkeit, oder auch wohl gar nicht Lust dazu haben, andere Personen, die besoldete Mitgehülfen sind. Bey der Erziehung durch diese Mitgehülfen findet sich aber der sehr schwierige Umstand, daß die Auctorität zwischen den Eltern und diesen Hofmeistern getheilt ist. Das Kind soll sich nach den Vorschriften der Hofmeister richten, und dann auch wieder den Grillen der Eltern folgen. Es ist bey einer solchen Erziehung nothwendig, daß die Eltern ihre ganze Auctorität an die Hofmeister abtreten.
In wie ferne dürfte aber die Privaterziehung vor der öffentlichen, oder diese vor jener, Vorzüge haben? Im Allgemeinen scheint doch, nicht blos von Seiten der Geschicklichkeit, sondern auch in Betreff des Charakters eines Bürgers, die öffentliche Erziehung vortheilhafter, als die häusliche zu seyn. Die letztere bringt gar oft nicht nur Familienfehler hervor, sondern pflanzt dieselben auch fort.
Wie lange aber soll die Erziehung denn dauren? Bis zu der Zeit, da die Natur selbst den Menschen bestimmt hat, sich selbst zu führen; da der Instinkt zum Geschlechte sich bey ihm entwickelt; da er selbst Vater werden kann, und selbst erziehen soll; ohngefähr bis zu dem sechzehnten Jahre. Nach dieser Zeit kann man wohl noch Hülfsmittel der Kultur gebrauchen und eine versteckte Disciplin ausüben, aber keine ordentliche Erziehung mehr.
Die Unterwürfigkeit des Zöglings ist entweder positiv, da er thun muß, was ihm vorgeschrieben wird, weil er nicht selbst urtheilen kann, und die bloße Fähigkeit der Nachahmung noch in ihm fortdauert, oder negativ, da er thun muß, was Andere wollen, wenn er will, daß Andere ihm wieder etwas zu Gefallen thun sollen. Bey der ersten tritt Strafe ein, bey der anderen dies, daß man nicht thut, was er will; er ist hier, obwohl er bereits denken kann, dennoch in seinem Vergnügen abhängig.
Eines der größten Probleme der Erziehung ist, wie man die Unterwerfung unter den gesetzlichen Zwang mit der Fähigkeit, sich seiner Freyheit zu bedienen, vereinigen könne. Denn Zwang ist nöthig! Wie kultivire ich die Freyheit bei dem Zwange? Ich soll meinen Zögling gewöhnen, einen Zwang seiner Freyheit zu dulden, und soll ihn selbst zugleich anführen, seine Freyheit gut zu gebrauchen. Ohne dies ist alles bloßer Mechanism, und der, der Erziehung Entlassene, weiß sich seiner Freyheit nicht zu bedienen. Er muß früh den unvermeidlichen Widerstand der Gesellschaft fühlen, um die Schwierigkeit, sich selbst zu erhalten, zu entbehren, und zu erwerben, um unabhängig zu seyn, kennen lernen.
Hier muß man folgendes beobachten: 1) daß man das Kind, von der ersten Kindheit an, in allen Stücken frey seyn lasse; (ausgenommen in den Dingen, wo es sich selbst schadet, z. E. wenn es nach einem blanken Messer greift,) wenn es nur nicht auf die Art geschieht, dass es Anderer Freyheit im Wege ist, z. E. wenn es schreyet, oder auf eine allzulaute Art lustig ist, so beschwert es Andere schon. 2) Muß man ihm zeigen, daß es seine Zwecke nicht anders erreichen könne, als nur dadurch, daß es Andere ihre Zwecke auch erreichen lasse, z. E. das man ihm kein Vergnügen mache, wenn es nicht thut, was man will, daß es lernen soll etc. 3) Muß man ihm beweisen, daß man ihm einen Zwang auflegt, der es zum Gebrauche seiner eigenen Freyheit führt, daß man es kultivire, damit es einst frey seyn könne, d. h. nicht von der Vorsorge Anderer abhangen dürfe. Dieses letzte ist das späteste. Denn bey den Kindern kommt die Betrachtung erst spät, daß man sich z. E. nachher selbst um seinen Unterhalt bekümmern müsse. Sie meynen, das werde immer so seyn, wie in dem Hause der Eltern, daß sie Essen und Trinken bekommen, ohne daß sie dafür sorgen dürfen. Ohne jene Behandlung sind Kinder, besonders reicher Eltern, und Fürstensöhne, so wie die Einwohner von Otaheite, das ganze Leben hindurch Kinder. Hier hat die öffentliche Erziehung ihre augenscheinlichste Vorzüge, denn bey ihr lernet man seine Kräfte messen, man lernet Einschränkung durch das Recht Anderer. Hier genießt