Rellstabs "Henriette oder die schöne Sängerin"

von Michael Gnessner

Kurzbeschreibung & Inhalt

Ludwig Rellstab veröffentlicht den satirischen Künstlerroman »Henriette, oder die schöne Sängerin« im Jahr 1826 unter dem Pseudonym Freimund Zuschauer. Im Mittelpunkt steht Henriette, eine charismatische und begabte Sängerin – offenbar angelehnt an die Sopranistin Henriette Sontag (1806-1854) –, deren Auftreten am Königstädtischen Theater in Berlin zum Ausgangspunkt für eine Satire auf den regelrechten Personenkult rund um Bühnenstars wird. 

Der Roman schildert Henriettes Gastspiel im Jahr 1825 und die Begeisterung, die sie überall auslöst. In humorvoller und zugleich spöttischer Manier zeigt Rellstab:

  • die übertriebene Verehrung durch Publikum und Aristokratie,
  • die Beglückung mit Geschenken bis hin zum Empfang im königlichen Palais,
  • sowie das fanatische Treiben am Hof Berlins, das ihn wie ein loderndes Feuer durch ganz Europa verbreitet  .

Die satirische Umsetzung äußert sich besonders in der leicht erkennbaren Maskierung realer Persönlichkeiten: Lord Clanwilliam (britischer Gesandter), General von Brauchitsch sowie Schriftsteller und Kritiker sind ironisierend karikiert – unter Pseudonymen wie Ruhwitz (für Gubitz), Raupenbach (für Raupach), Arecca (für Alexis) oder Puckbulz (für Kritiker »Spuck-Schultz«).

Rezeption & Wirkung

Der Roman schlug wie eine Bombe ein und bereits am Erscheinungstag berichtete Varnhagen von Ense in seinen Tagebüchern vom Gemeinschaftskult um das Buch und dessen Begehrtheit – die Buchläden waren sofort ausverkauft, und in Berlin sprach man über die Enthüllung der Porträtierten – trotz geschützter Namen – offen. Am Hof stieß das Buch auf Schadenfreude, und sogar der Kronprinz lobte die geistvolle Satire.

Allerdings hatte die Satire Konsequenzen für den Verfasser: Zum einen löste sie eine juristische Auseinandersetzung aus, da der britische Gesandte sich von der Satire angegriffen fühlte – Rellstab erhielt drei Monate Festungshaft. Zum anderen gilt der Roman als literarisch wie historisch wertvolle Quelle für das literarische Leben und die Musikszene Berlins im Vormärz.

Stil & Bedeutung

Satirisch, polemisch, lebendig: Der Ton ist humorvoll, witzig und scharf beobachtend. Rellstab nutzt spöttische Überspitzung, um den Wahnsinn des Kults zu entlarven, ohne die Künstlerin selbst herabzuwürdigen.

Zeit- und kulturhistorisch relevant ist der Roman durch die reflektierte Art, das Entstehen eines modernen Star- und Promikultes im frühen 19. Jahrhundert zu zeigen. Es verweist auch auf die engen Verpflechtungen zwischen Hof, Presse. Publikum und Theater - und dokumentiert eine frühe Phase der Mediatisierung von Kunstfiguren.