Trauerrede auf den Tod Sr. päbstlichen Heiligkeit Pius VII, gehalten bei den feierl. Exequien in der Domkirche zu Regensburg den 22. December 1830 von Melchior Diepenbrock Domcapitular.
Zu Rom, in einem stillen Gemache, umgeben von betenden Priestern — schliesst ein frommer Greis sterbend die Augen, und der Trauerruf: »Er ist gestorben!« der vom Quirinal herab die weite Roma durchschallt, dringet fernhin über Gebirge und Meere, und wiederhallet in hundert verschiedenen Sprachen durch alle Welttheile, und in das dumpfe Trauergeläute des Capitols stimmen ein — nicht bloss die Glocken unsres Regensburger Domes, sondern alle die tausend und abermal tausend geweihten ehernen Zungen, welche auf dem weiten Erdkreis täglich dreimal das menschgewordene Wort verkünden.
Welche wunderbare Erscheinung! Denn was gäbe es wohl noch für ein anderes Ereigniss, und sey es das wichtigste, das erstaunendste, — das auf solche Weise die Welt durchhallete, und hin reichte bis in die ödesten, nur von einsamen Mönchen bewohnten Wüsten Asiens, bis in die Urwälder America’s, und bis auf die unbesuchtesten Küsten und Inseln des grossen Occans, wo irgend ein frommer Missionar die Neubekehrten zum Gebete für den verstorbenen Greis ermahnt? Wahrlich! ganze Reiche könnten zu Grunde gehen, und das Krachen ihres Sturzes erreichte nicht das Ohr Derjenigen, welche der stille Tod dieses einzigen Greises mit Trauer erfüllt!
Welches ist denn aber dieses wunderbare Band, das, über Gebirge, Wüsten und Meere reichend, alle Völker umschlingt, und Hunderte Millionen Menschen, die sich übrigens so fremd sind, dass sie kaum um ihr gegensecitiges Daseyn wissen, zur innigsten Theilnahme an dem Leben oder Tode eines einzigen Menschen verbindet? und wer ist dieser Einzige, um den traurend die Enden der Welt sich die Hände reichen?
Diese wunderbare Erscheinung ist die heilige katholische Kirche; sie ist es, die in der Einheit und Einigkeit des Glaubens und der Liebe alle Völker, als soviele Glieder, zu Einem wahrhaften Leibe verbindet; — und der Eine, um den jezt Alle trauern, ist ihr: sichtbares Haupt, der Stellvertreter des unsichtbaren, — der Mittelpunkt der Einheit, an welchen durch die Bande des Gehorsams alle Geister, durch die Bande kindlicher Ehrfurcht und Liebe alle Herzen sich knüpfen: der sterbende Greis ist der heil. Vater der Christenheit!
Welch eine erhabene, göttliche Idee! so erhaben, dass der menschliche Verstand sie nicht zu ahnden vermöchte, wenn er sie nicht verwirklicht vor sich sähe. Denn, was sind, auch zur der räumlichen Ausdehnung nach, die gepriesenen Monarchieen eines Alexander, eines Augustus, oder des kühner Eroberers unsrer Tage, gegen dieses unermessliche geistige Reich, das mit Armen der Liebe die ganze Welt umfasst? Ja, mit Armen der Liebe! denn warum trauerten sonst soviele Millionen um den gestorbenen Greis, von dem sie doch in ihrem Leben nie etwas empfingen, als nur unsichtbare Segnungen, fromme Fürbitten, und überirdische Lehren? Und dann: wie viele irdische Reiche hat es in und neben sich entstehen und zusammenstürzen sehen, dieses geistige Reich, während er selbst nun schon 18 Jahrhunderte unerschüttert da steht, und immer noch sich erweitert, von seinem göttlichen Stifter selbst einem Baume verglichen, der, aus gleichem Samenkorn hervorgewachsen, in Stamm und Aesten immer weiter sich ausbreitet, so dass alle Völker unter seinem Schatten Schutz und an seinen Früchten geistige Nahrung finden können, und nach göttlicher Verheissung — dereinst auch alle finden werden. Denn ‚wenn auch durch die Stürme der Zeiten einzelne Zweige zerknickt wurden, welkten und abfielen, so ist doch stets die innere Trieb. kraft ungeschwächt geblieben, und der Thau des Himmels hört nicht auf, sich täglich zu erneuern.
Mögen diese kurzen Andeutungen, indem sie uns die göttliche Idee des Katholicismus — zwar nur von einer, der sichtbaren, Seite vergegenwärtigen, zugleich dazu dienen, durch das Gefühl der Freude und der Sicherheit, welches uns unser Einverleibtseyn in diese weltumfassende heilige Gemeinschaft gewähren muss, den Schmerz der Trauer zu lindern, die wir in diesem Augenblicke mit der ganzen Kirche um den Verlust ihres sichtbaren Oberhauptes begehen.
Indem ich nun zu einer kurzen Schilderung des Lebens und Wirkens des hochseligen Pabstes übergehe, wird mir. die zuletzt gebrauchte uralte, sinnbildliche und sinnvolle Bezeichnung desselben, als »des sichtbaren Hauptes der Kirche«, zur Antwort und Erklärung auf die etwaige Frage dienen: »Warum, wenn der Zugammenhang aller katholischen Gläubigen mit dem Pabste so wesentlich, und dessen Daseyn für sie so wichtig ist, dieselben denn doch von seiner Thätigkeit so wenig inne zu werden pflegen?«
Am menschlichen Leibe ist das Haupt der edelste Theil, der Sitz des Geistes. Von ihm. geht. durch die Nerven in alle Theile des Leibes Leben, Empfindung und willkührliche Bewegung aus. Diese ununterbrochenen Lebenseinwirkungen des Hauptes geschehen aber auf die innigste, unmerklichste Weise; ja, mehrere der wichtigsten Organe bewegen sich in einer gewissen Unabhängigkeit vom Haupte, jedoch nur so lange, als der nervöse Zusammenhang mit demselben nicht abgerissen ist; denn ist dies der Fall, dann hört alsbald das Leben auf. Indessen wachet das Haupt, obgleich weniger beweglich als die übrigen Glieder, über die Unversehrtheit Aller; es allein sieht die drohenden Gefahren, und lehrt sie zu vermeiden, oder unschädlich zu machen u. s. w.
Ganz derselbe Organismus erscheint nun auch am grossen : geistigen Leibe der Kirche, dessen Gesundheit und Erhaltung gleichfalls durch die innigste Verbindung aller Glieder mit dem Haupte bedingt ist. Auch hier bewegen sich im ordentlichen Zustande die ‚wichtigeren untergeordneten Organe, die Bischöfe, die Priester, jeder in seinem Kreise mit einer gewissen Selbstständigkeit, und, im wesentlichen Zusammenhange zwar mit dem Pabste, aber doch ohne dessen merkbare Vermittlung. Seine Wirksamkeit beschränkt sich ‚alsdann zunächst auf die wachsame Aufsicht über Alle, und auf die innern, unsichtbaren Einflüsse der Fürbitte für Alle. Denn, um auch dieses Letztere kurz zu berühren — sollten wir nicht glauben, dass, wenn Millionen für Einen beten, das Gebet dieses Einen für sie Alle nicht auch vor Gott millionenfaches Gewicht habe? Zeigt uns doch die heil. Geschichte diese Gebetskraft an Moses, der auf dem Berge für das kämpfende Volk Israel flehet, welches siegt, solange er die Hände erhebt, und weichen muss, sobald mit des Betenden Händen seine Inbrunst sinket!
Neben dieser steten, unmerklichen Thätigkeit des kirchlichen Oberhauptes tritt aber eine andere mehr sinnfällige, äussere hervor, so oft dem Ganzen oder einem Theile Gefahr drohet, so oft ein Hinderniss zu heben, ein Übel abzuwenden oder zu heilen ist. Alsdann sehen wir den Pabst belehrend, warnend, schützend, erhaltend, oder auch im Nothfalle strafend — mit geistlichen Strafen — auftreten, und dann erst fühlen wir es recht, dass wir ein Haupt haben, dem unsre geistliche Wohlfahrt angelegen ist.
Ich will dies nun kurz in dem Leben und Wirken des uns leider zu früh entrissenen Pius nachweisen.
Franz Xaver Graf von Castigliene (so heisst sein Tauf- und Familien-Name,) geboren den 20 November 1761 zu Cingoli in der Mark Ancona, ward 1800 von Pius VII. zum’ Bischof: von Montalto ernannt. Sieben Jahre lang widmete er sich hier in rastloser Thätigkeit den bischöflichen Pflichten. Als aber im Jahre 1808 der Kirchenstaat von den französischen Truppen besetzt ward; und’ der edle, gleich muthige und geduldige Pius den italienischen Bischöfen verbot, von der eingedrungenen Zwangsherrschaft Befehle anzunehmen, traf’ den Bischof Castiglione, dessen treue Anhänglichkeit an seinen Pabst und Fürsten keinen Augenblick wankte, das Urtheil der Verbannung in die Lombardey. Nach dem endlichen Sturze des französischen Kaiserthums kehrte, mit dem befreiten Pabste, auch der Bischof von Montalto zu seiner Heerde zurück; ward dann 1816 zum Bischof von Cesena und zum Cardinal, 1821 aber zum Grosspönitentiar und Bischof von Frascati ernannt. Dass er seit seiner Erhebung zum Cardinal, bei dem grossen Vertrauen, welches ihm Pabst Pius schenkte, thätigen Antheil genommen an den wichtigen Arbeiten zur Wiederherstellung der zerrütteten kirchlichen Verhältnisse auch in unserm Deutschlande, welche Arheiten die letzte Regierungsepoche jenes unsterblichen Pabstes so ruhmvoll bezeichnen, lässt sich wohl nicht bezweifeln.
Nach dem im Februar 1829 erfolgten Tode des eifrigen Pabstes Leo XII. ging Cardinal Castiglione mit den übrigen Cardinälen in’s Conclave; und hier war es, wo er, seine künftige, ihm noch verborgene, Würde und die damit verbundene heilige Begeisterung gleichsam anticipirend, im Namen des heiligen Collegiums jene inhaltsschweren, des heil. Stuhles und des ältesten Thrones der Christenheit gleich würdigen Worte über den Geist und die Ereignisse unserer Zeit aussprach. Ein berühmter, wohlgesinnter Maan trat nämlich als Gesandter eines damals grossen, jetzt ach! schon gefallenen, Königs. vor dem heil, Senate auf, und sich stützend, wie er sagte, auf den Thron des. heil, Ludwig, der nun auch schon wieder gewankt hat, deutete er auf die Nothwendigkeit hin, dass die Kirche sich — nicht ‚bloss den Bedürfnissen ‚sondern auch dem Geiste der Zeit mehr annähere, und einer andern als ihrer bisherigen Politik Raum gebe. Die Versuchung konnte um so lockender erscheinen, als der Rath von einer grossen Macht gegeben, und gewiss redlich gemeint war in dem Munde eines Mannes, der selbst auf seine Weise der kath. Wahrheit vielfaches Zeugniss gegeben, und der bessern Gesinnung früher wirkliche Opfer gebracht hatte. Der künftige Pius antwortete ihm:
Das heil. Collegium kenne wohl die Schwierigkeiten der Zeit, für welche der Herr es aufbewahrt habe: aber voll Vertrauen auf die göttliche Hand des allmächtigen Stifters des Glaubens, hoffe es, dass Derselbe dem zügellosen Verlangen, sich aller Autorität zu entziehen, einen Damm entgegensetzen, und mit einem Strahle seiner Weisheit Diejenigen erleuchten werde, welche sich schmeicheln, Gehorsam gegen menschliche Gesetze erhalten zu können, ohne Rücksicht auf die göttlichen zu nehmen. Da jede Einrichtung der Gesellschaft und jede gesetzgebende Macht von Gott komme, so könne allein der wahre christliche Glaube den Gchorsam heiligen, weil er allein den Thron der Gesetze in den Herzen der Menschen errichte: eine unerschütterliche Grundfeste, der vergeblich die menschliche Weisheit andere, entweder hinfällige, oder selbst entgegenwirkende Ursachen unterzuschieben versucht habe.
Dann spricht er die Hoffnung aus:
dass Iesus Christus auch diesmal seiner Kirche ein heiliges und erleuchtetes Oberhaupt geben werde, das mit der Klugheit der Schlange und der Einfalt der Taube das Volk Gottes zu regieren im Stande seyn werde, nach jener Politik, die, gezogen aus der göttlichen Quelle der heil. Schrift und der ehrwürdigen Überlieferung, als die einzige wahre Schule einer vernünftigen Regierung, um so viel höher stehe denn alle menschliche Politik, als der Himmel erhabener ist als die Erde.
Und diese Hoffnung hat denn auch der Herr wirklich erfüllt; denn wenige Tage nachher ward der begeisterte Redner selbst auf den Stuhl Petri erhoben, auf welchem er nun auch mit Gottes-Hülfe jenes Musterbild eines apostolischen Kirchenoberhauptes, das er mit 86 begeisterten Worten gezeichnet hatte, in der That und im Leben darzustellen wusste.
Möchte doch; so wie seine Erwartung vom künftigen Pabste durch ihn selbst erfüllt ward, so auch der übrige Inhalt seiner Rede von den Machthabern und den Völkern beherzigt und erfüllet worden seyn; dann hätte die Kirche und die Menschheit jetzt nicht zu seufzen über die furchtbaren Zerrüttungen, die seitdem stattgefunden und über das Blut, das geflossen, gerade deshalb, weil man auf der einen Seite menschliche Gesetze ohne Rücksicht auf die göttlichen gewaltsam aufrecht erhalten und auf der andern Seite der bestehenden Autorität mit Gewalt sich entziehen wollte. Und hier nun, wo von der Politik der Kirche die Rede ist, ein Wort, das ich nicht zu gebrauchen wagte, wenn nicht der heilige Vater selbst ihm eine so erhabene Bedeutung gegeben hätte — hier ist der Ort, es noch einmal laut zu sagen: dass die Kirche den Despotismus eben so wenig begünstigt, eben so sehr verabscheut, als den Freiheitaschwindel, indem sie den Königen Gerechtigkeit und väterliche Milde, den Völkern Gehorsam und Treue, und — im schlimmsten Falle — gelassenes Erdulden predigt, und am allerwenigsten ihre, der Kirche, eigene heilige Interesse zum Vorwande der Unterdrückung oder des Aufruhrs gebraucht wissen will, weil eine, durch das Dulden und Verbluten des Gott-Menschen gestiftete Religion keine schlechtere Waffe finden kann, als das Schwert, keine bessere, als Gebet und Thränen. Dies ist die Politik, die heilige, unwandelbare Politik der kath. Kirche. Und wo gäbe es wohl eine sicherere Bürgschaft für die Ruhe und das Glück der Staaten, als in der allseitigen treuen Befolgung dieser ihrer Lehren?
Sogleich nach seiner Besitznahme des heil. Stuhles erliess Pius VII. — (diesen Namen hatte er sich gewählt, um durch ihn stets auf die himmelan leuchtenden Fussstapfen des siebenten Pius hingewiesen zu werden) — einen aus der Fülle des Herzens geflossenen Hirtenbrief an alle Bischöfe der kath. Welt, worin er sie mit väterlich-brüderlicher Stimme zur treuen Hütung .der Heerde Christi ermahnet, und sie mit wahrhaft erleuchtetem Seherblick aufmerksam macht auf die drohenden Gefahren des Zeitgeistes, der, aus Unglaube und Sittenlosigkeit geboren, an: Umstürzung der Throne und Altäre seine Kraft zu üben versuche; er beschwört Sie, denselben mit den Waffen des heil. Geistes, mit Lehre und Gebet, zu bekämpfen, und vor Allem für die religiöse Erziehung der Jugend und für die Heilighaltung der Ehen Sorge zu tragen, weil nur hier die Wiege einer bessern Zukunft stehe.
Auf den Stuhl des Apostelfürsten erhoben, sehen wir ihn nun als allgemeines Kirchenoberhaupt mit wachsamer Liebe alle Völker umfassen, und überall hin die zärtlichste Sorgfalt wenden, wo nur immer der Sache Gottes und dem Heile der Gläubigen Gefahr drohet.
Zuerst begegnet uns hier die endliche Vollziehung des Concordates mit Holland. Es konnte nämlich ‚dem Haupte nicht entgehen, dass hier eine der wundesten Stellen am Kirchenleibe sey, die in ein böses Geschwür aufzubrechen drohte. Es galt den Versuch, durch. lindernde Mittel den Ausbruch des Übels zu verhüten. Aber leider gelang der so wohlgemeinte Versuch nicht mehr; die innere Entzündlichkeit und fortdauernde heftige Reize von aussen hatten das Übel unheilbar gemacht. Immerhin verdient jedoch die Weisheit und Sorgfalt des heil. Vaters, womit er diese, seit vielen Jahren angeknüpften, schwierigen Unterhandlungen, unter allen nur möglichen Zugeständnissen zum Schluss und zur Vollziehung zu bringen eilte, eine nicht minder dankbare Anerkennung.
Mit gleicher Sorgfalt und glücklicherm Erfolge als hier an dem Ufer der Nordsee, sehen wir den heil. Vater fast zu gleicher Zeit an der Küste des Bosphorus für das geistliche und zeitliche Wohl eines Theiles seiner Heerde thätig. In Folge des griechischen Aufstandes waren nämlich auch die friedfertigen katholischen Armenier, mehr als 50,000 an der Zahl, von den Türken gewaltsam aus Konstantinopel vertrieben worden, und irrten nun hülf- und heimathlos in der Welt umher. Aber es gab doch noch Ein mütterliches Dach, das die Vertriebenen schirmte, die Mutterkirche — Rom. Nicht nur fand eine bedeutende Zahl der Flüchtlinge im Kirchenstaate gastfreundliche Aufnahme und jegliche Unterstützung, sondern es gelang auch bald darauf dem obersten Hirten, durch seine Vermittlung allen Verbannten die Wiederaufnahme in Konstantinopel und die Wiedererlangung ihres Besitzthums zu erwirken, und sogar ihre kirchliche Verfassung noch dauerhafter als früher zu begründen durch die Aufstellung eines eigenen Patriarchen, dem die Pforte gleiche äussere Rechte mit dem griechischen einräumte.. So bewährt es sich auch in unsern Tagen noch, was selbst der Kirche entfremdete Geschichtsforscher anerkennen, dass das Pabstthum als der Schutzengel der Menschheit gegen die rohe Gewalt, in der Geschichte dasteht.
Bald darnach zog auch leider ein schon lange krankhafter Theil der kathol. Kirche in Deutschland die Aufmerksamkeit des Oberhirten auf sich. Es war nämlich im Einverständnisse mit dem heil. Stuhle schon einige Jahre vorher auf den Trümmern der ehemaligen uralten Kirchenverfassung, eine, mehrere kleinere protestantische Länder umfassende oberrheinische Kirchenprovinz mit 1 Erzbisthum und 4 Bisthümern errichtet, und dabei der katholischen Kirche vollkommene Achtung und Erhaltung ihrer Verfassung und Gesetze in diesen Ländern zugesichert worden. Allein es zeigten sich bald Einwirkungen eines feindseligen Geistes, aus welchem die verletzendsten Eingriffe in den innersten wesentlichsten Lebensorganismus der Kirche hervorgingen. Hiervon unterrichtet, erliess der bekümmerte Pabst jenes merkwürdige Hirtenschreiben an die fünf Bischöfe von Freyburg, Mainz, Rothenburg, Limburg und Fulda, worin er seinen tiefsten Schmerz über jene Vorgänge ausdrückt, mit so viel Ernst als Schonung das Benehmen eines Schwankenden rüget, und endlich mit apostolischem Eifer die Bischöfe ermahnet und beschwört, die heil. Lehren und Rechte der Kirche standhaft und unerschrocken zu vertheidigen, und mit gänzlicher Hingebung für das Heil der ihnen anvertrauten Heerden zu wachen. Mögen diese Ermahnungen des väterlichen Oberhirten nicht erfolglos geblieben seyn!
Noch eines besondern, die Regierung dieses Pabstes bezeichnenden, und auch uns näher berührenden Ereignisses habe ich zu erwähnen. Pius VIII. bewilligte nämlich, dass eine deutsche Uebersetzung der ganzen heil. Schrift, mit kurzen Erklärungen aus den Kirchenvätern unter päbstlicher Approbation herausgegeben werde, und vertraute die Aufsicht über dieses Werk zweien gelehrten deutschen Bischöfen an, wovon der Eine unser hochwürdigster Weihbischof. ist. Hierdurch hat der päbstliche Stuhl neuerdings bewiesen, dass er die Bedürfnisse der Zeiten wohl zu würdigen und seine Massregeln nach ihnen zu bestimmen wisse, indem er jezt, wo durch die, in allen Volksklassen verbreitete Kunst und Lust des Lesens der verderblichen Wirkung schlechter Bücher so viel Spielraum gegeben ist, dem Volke als Gegengift die heiligen Schriften in der Muttersprache. in die Hand gibt, jedoch versehen mit Erklärungen, welche jede Gefahr des Missbrauches durch Missverständniss möglichst beseitigen. Danken wir dem erleuchteten Pius für diese Wohlthat!
Seine Sorgfalt für die Wohlfahrt der Kirche verliess ihn auch auf dem Sterbebette nicht. Wir wissen aus glaubwürdigen Berichten, dass er sterbend noch den Wunsch geäussert, es möchte, wegen der besorglichen Zeitumstände, durch eine unverzügliche Wahl der Kirche ein neues Oberhaupt gegeben werden.
So sahen wir nun in ein leider so Kurzes Pontificat von nur 20 Monaten eine Reihe der verschiedenartigsten, wichtigsten Arbeiten zusammengedrängt. Und wie Vieles Andere ist wohl noch geschehen, wovoh uns keine Kunde zukam! Und dann erst die innern Arbeiten des Geistes, von denen Gott allein Zeuge ist; die tausendfachen geheimen Sorgen für das Heil von Millionen ihm anvertrauter Seelen; die Kümmernisse über die schrecklichen Begebenheiten dieser lezten Zeit; die inbrünstigen Gebete und Seufzer, womit er Tag und Nacht die bedrängte Braut dem Bräutigam an’s Herz gelegt. — Dies Alles, was vielleicht vor Gott noch unendlich mehr gilt, als alles äusserlich Erscheinende, das sey auch, weil erhaben über unsre Darstellung und Bewunderung, in den allwissenden, allbewahrenden und allbelohnenden Schooss Gottes niedergelegt.
Sollten wir nun nach alle diesem noch zweifeln können, dass der ehrwürdige Pabst auch ein trefflicher Fürst gewesen, so dürfte ich nur anführen, dass er in der Verwaltung des Kirchenstaates mancherlei wesentliche Verbesserungen vorgenommen, drückend gewordene Einrichtungen älterer Zeit abgeschafft, und eine bedeutende Verminderung der Abgaben bewirkt; dass er die Wissenschaften und Künste nicht bloss als Fürst, sondern als Freund und Kenner begünstigt und unterstüzt, die Erhaltung der vorhandenen Ueberreste alter Geschichte und Kunst sorgfältig anbefohlen, und fernere Ausgrabungen eifrigst und mit grossem Kostenaufwande betrieben habe.
Doch, wer könnte im Ernste glauben, dass der so fromme und erleuchtete Vater der Christenheit ein Stiefvater seines Volkes, ein Stiefvater der Künste und Wissenschaften hätte seyn können?
Möge bald unter einem neunten Pius, dem Erben seines Geistes wie seiner Tiara, dem achten Pius ein Denkmal aufgerichtet werden, wie unter ihm dem Siebenten!
Er starb am 30. November, dem Feste des heil. ‚Apostels Andreas.
Beten wir für ihn! Beten wir für die verwaiste Kirche und schweigen!
Quelle:
Diepenbrock, Melchior - Trauerrede auf den Tod Sr. päbstlichen Heiligkeit Pius VIII, gehalten bei den feierl. Exequien in der Domkirche zu Regensburg den 22. December 1830 von Melchior Diepenbrock Domcapitular., Regensburg 1807