Klas Avenstaken

In dem Lande Westfalen unweit der Stadt Minden, wo es viele tüchtige Bauern hat, lebte vor langen Jahren ein Schulze in Dümmelshusen, der Peter Avenstaken hieß, ein Mann von Sitten und Art geduldig und sanftmüthig und deswegen bei Freunden und Nachbarn wohl berüchtigt und beliebt, sonst aber von großem und reisigem Leibe und von so gewaltiger Stärke, daß er weit und breit nur der starke Peter hieß, und daß die Leute ihm hundert Schritt aus dem Wege gingen, wann er böse ward; denn ward er böse, so ward er es sehr, und konnte überhaupt nichts Mittelmäßiges thun. Dieser Schulze in Dümmelshusen hatte ein Lieblingswort, das er oft gebrauchte und das in seiner Freundschaft und Verwandtschaft sehr alt war; denn ehrsame Bauerschaften pflegen auf gewisse Worte, Sinnsprüche und Sprichwörter eben so zu halten, als Edelleute, die Fahnen und Schild führen, und setzen auch einen Stolz in dem Alten. Dieses Wort hieß , oder, wie sie in Westfalen sagen, ; und nach dem Worte, weil er es so oft im Munde führte, nannten manche Leute ihn auch Peter Grad dör, was er wohl aufzunehmen pflegte. Es war aber bei dem Worte noch ein Aberglaube, der sich Jahrhunderte lang in der Familie Avenstaken fortgepflanzt hatte; sie meinten nemlich, dasjenige von den Kindern, welches sich dieses Wort vor den andern herausnehme, werde das Tüchtigste und Glücklichste werden; und also horchten und merkten die Altern frühe darauf. Seinen Ursprung aber hatte das Sprichwort von einer alten Geschichte, die sich mit dem Stifter des Hauses begeben hat, der bei Minden seßhaft ward. Dieser war ein Schuhmachergesell Namens Klas, gebürtig aus dem Örtchen Corbach im Waldeckischen. Eines Tages, als er mit einem seiner Gesellen auf der Wanderschaft war und durch den Hochwald längs der Weser des Weges auf Minden ging, kam ein wüthender Wolf auf ihn los. Sein Gesell hielt den Anlauf nicht aus sondern entlief und kletterte auf einen Baum, Klas aber blieb festen Fußes und Auges stehen, nahm seinen Stock und wartete des Wolfes; und als dieser auf ihn zufuhr, stieß er ihm den Stock in den offenen Rachen und stieß so gewaltig, daß der Stock hinten wieder herausfuhr und der Wolf alle Viere von sich streckte. Sein Gesell fand sich nun wieder zu ihm, diesen aber prügelte er von sich weg als einen feigen und erbärmlichen Schächer, und ging mit ein paar Köhlern, welche das Abentheuer mit angesehen hatten, seines Weges weiter durch den Wald und übernachtete im nächsten Dorfe. Dem Wolf hatte er die Haut abgezogen und trug dies herrliche Siegeszeichen auf seinem Stock, daß er sie einem Kürschner in der nächsten Stadt verkaufte. Als Klas in der Dorfherberge angekommen war, erzählten die Köhler den Kampf mit dem Wolfe, und alle Bauren und Knechte und Dirnen liefen zusammen, daß sie den jungen Schuhmacher sahen, der den Wolf mit dem Stecken erschlagen hatte, wie König David den Goliath mit dem Steinchen. Und sie verwunderten sich sehr, denn der Jüngling sah so gewaltig nicht aus, wiewohl er stark war; und sie wollten alle den Stecken sehen und betasten, die Dirnen aber faßten ihn nur mit Grausen an. Es war sonst ein ganz gewöhnlicher Dornstock, den ein Becker in Corbach dem jungen Klas geschenkt hatte zu seiner Wanderschaft, und er war an der Spitze angebrannt, weil der Becker die Kohlen im Ofen zuweilen damit umgerührt hatte. Desto mehr lobten die Leute Klas und freuten sich über ihn wegen der herzhaften Antwort, die er dem Schulzen des Dorfes gab auf die Frage, wie er es denn mit dem Wolfe angefangen habe ihn umzubringen; da habe es der Stecken wohl nicht allein gethan sondern der Schusterpfriemen habe wohl mit beispringen müssen. Denn Klas sagte ihm ganz kurz: Herr Schulze, mit einem bischen Muth fängt man alles gescheidt an, und so ist auch dieser Ofenstecken grade durch den Wolf gegangen und hat nicht erst gefragt, ob seine Hinterthüre auch verschlossen war. Der Schulze wollte das übel nehmen, und brummte, aber die andern hießen ihn schweigen. Denn Klas hatte alle für sich gewonnen durch sein freies tüchtiges Wesen, und besonders nahmen die hübschen jungen Dirnen sich seiner an und trugen ihm Äpfel und Birnen und Nüsse und Kuchen um die Wette zu und forderten ihn von selbst auf zum Tanze, der später den Abend in der Schenke begann; und hätten sie sich nicht entsehen vor den Leuten, einige hätten ihn wohl mit Vergnügen geherzt und geküßt. Aber das geschah nicht, und Klas selbst war noch sehr blöd; denn dies war seine erste Wanderschaft und überhaupt das erste Mal, daß er in die Fremde ging.

Den andern Morgen, als die Sonne anbrach, nahm Klas seinen Stecken und seine Wolfshaut und kam nach Minden und fand Arbeit bei einem Meister und blieb dort. Doch war es sein Glück, daß er mit den Köhlern hier in der Dorfschenke angesprochen hatte, denn eine junge und hübsche Bauerdirne hatte sich so in ihn verliebt, daß sie Tag und Nacht nichts anders sah und träumte als den jungen Schuhmachergesellen Klas und daß sie vor Sehnsucht und Liebe fast abzehrte und ohne ihn gar nicht leben wollte. Die Ältern suchten ihr das wohl auszureden, aber Liebe, die es redlich meint, ist, wie man sagt, die unheilbarste aller Krankheiten. Sie mußten sich also, wenn sie ihre Tochter behalten wollten, endlich darein geben, und gingen selbst nach Minden und suchten Klas von Corbach auf, den jeder schon kannte von wegen seiner Wolfsgeschichte; und sie brachten den wackern Gesellen ihrer schönen Tochter zu, die ihr einziges Kind war, daß er sie zum Weibe nähme und vom Tode erlösete. Und Klas ließ sich nicht lange bitten, denn die hübsche junge Dirne gefiel ihm, und er zog zu ihr in das Dorf, und legte Pfriemen und Ahl weg und nahm Pflug und Spaten dafür in die Hand und lebte als ein rechtschaffener Bauersmann und ward nach einigen Jahren Schulze an dessen Stelle, der über seine Rede gebrummt hatte. Und von seinem Stecken nannte ihn alle Welt Klas Avenstaken; er aber gewöhnte sich das Wort an, das andere von ihm gebrauchten, ; denn sie pflegten im Scherze von ihm zu sagen: . Und das behielten seine Enkel und Urenkel nach ihm als ein gutes Wort, das Glück und Muth bedeutete.

Dem Peter in Dümmelshusen waren von seiner Frau Greth Tibbeke schon viele Söhne und Töchter gebohren, und die Greth hatte ihrem Manne schon oft angelegen, er solle doch einen Sohn mit dem Hauptnamen in der Freundschaft Klas taufen lassen; er hatte es aber immer verneint, und den Buben andere Namen gegeben. Nun geschah es, daß wieder ein Knabe gebohren wurde und daß Peter mit Gewalt wollte, daß dieser Klas heißen sollte, wogegen sich Greth sehr steifte, denn sie und die Freundschaft wollten den Namen Johannes, weil er am Johannisabend zur Welt gekommen war. Auch sagte sie, indem sie das Kindlein in der Wiege betrachtete: Sieh Mann, wie sanft und still der Junge aussieht! das wird dir in der Welt kein Klas, der es mit einem Wolf aufnimmt; aber Peter antwortete: Kikelkakel! eben deswegen soll er Klas heißen, die Frommen sind immer die besten Helden gewesen, und die wie Eisenfresser aussehen, beißen oft keinen Strohhalm inzwei. Kurz, es half der Greth kein Bitten und Flehen, kein Heulen und Schelten, Peter war diesmal unerbittlich und sagte: Eben weil er am Johannisabend, an einem so großen Abend, gebohren ist, soll er Klas heißen, und ich wette, ein tüchtiger Klas wird er werden. Und mit diesen Worten nahm er seine Mütze vom Nagel und setzte sie etwas queer auf, wie er zu thun pflegte, wann er zürnte, und ging hinaus und achtete nicht des Geschreis seiner Greth und der Muhmen und Gevatterinnen hinter ihm her. Und der Priester mußte den Knaben Klas taufen. So daß die Greth, die ihren Johannes noch nicht vergessen konnte, halb weinend und halb lachend sagte: Nein, dem Peter ist was durch den närrischen Kopf gefahren, wie es Hunden und Katzen zu geschehen pflegt, die, wenn man ihnen die Jungen nimmt, daß man eines oder zwei hegen lasse und die übrigen ersäufe, immer wieder dieselben Jungen aus allen zuerst ergreifen und wieder in ihr Lager tragen, wo es die Leute dann auch liegen lassen und aufziehen, meinend, die Alte müsse am besten wissen, welche von ihren Jungen die besten seyen. Ich will doch sehen, was aus diesem ausgegriffenen Klas meines lieben Peters wird.

Und dem kleinen Klas gedieh sein Name wohl, er nahm unverzagt der Mutter Brust und ließ es sich gut schmecken, schoß in dem zweiten Monat schon seinen ersten Zahn aus, hatte den vierten Monat schon sechs Zähne und genoß nebenbei schon allerlei Speise und Trank, vor dem neunten Monat aber stand er schon auf eigenen Füßen und richtete sein Antlitz zum Himmel auf. Dann nahm Peter, sein Vater, ihn auf den Arm, lächelte seelenvergnügt und hielt ihn der Greth hin und sprach: Sieh, Greth, welch ein Klas! Greth aber halb böse halb gutmüthig antwortete: Dein Klas ist noch nicht über alle Berge, ich wollte doch, er hieße Johannes. Und Peter setzte den Buben wieder auf den Boden, sah zornig und ging stumm und verdrießlich aus der Thüre. Solche kleine Neckereien über das Bübchen hatte es oft unter den beiden Eheleuten, die sich übrigens von ganzem Herzen liebten. Sie schadeten dem kleinen Klas auch nicht sondern er gedieh wohl, ward breit an Schultern und Brust, warf alle Knaben seines Alters und auch die ein Jahr älter waren, zur Erde.

So war er im Essen, Trinken, Schlafen und Spielen fünf Jahre alt geworden. Nun stellte ihn der Vater den Frühling und Sommer schon hinter die Gänse, und den Winter mußte er in die Schule gehen und beten und das ABC lernen. Mit dem siebenten Jahre rückte er zum Schweinhirten vor und im neunten mußte er schon Ochsen und Pferde hüten. Alles dies that er ordentlich und geschickt, so daß der Vater Freude daran hatte. Das Einzige, worüber Klagen einliefen, waren Beulen, die er den Nachbarskindern schlug; Frau Greth jammerte auch oft über die vielen zerrissenen Hosen und Jacken, die er mit zu Hause brachte, nein nicht immer mit zu Hause brachte sondern zuweilen auf den Bäumen und an den Dornen hangen ließ; auch beschwerte sie den obersten Richterstuhl des Vaters zuweilen mit Schiedsrichteramt, wann er seine älteren Brüder gebläuet hatte; denn im Zorn konnte er alle Knaben zwingen, auch die vier fünf Jahre älter waren als er. Der alte Peter freute sich gewöhnlich, wenn er in solchen hochnothpeinlichen Halsgerichtsfällen seinen Stuhl besteigen mußte. Der Schluß vom Liede war fast immer, daß die Kläger und Greth ihr Anwald wegen Unstatthaftigkeit der Gründe und Zeugen abgewiesen wurden. Wohlgefällig sagte Peter dann: Ich weiß, ich habe es in meinen Knabenjahren auch so gemacht; hat denn der Klas je den Zank angefangen? sind die andern nicht immer die Necker? ihnen geschieht ihr Recht, wenn er sie tüchtig abstraft. Es ist gut, daß er sie zwingen kann, so wird ihnen die Lust dazu vergehen. Und er nahm dann seinen Klas gewöhnlich und streichelte ihn und küßte ihn und ermahnte ihn zu aller Friedseligkeit. Dessen bedurfte es aber in der That nicht: Klas war einer der stillesten und freundlichsten Jungen, der keiner Kreatur etwas zu Leide thun, am wenigsten schwächere und kleinere Knaben necken konnte; aber wenn er gereitzt ward, gebrauchte er die Kraft seiner Fäuste nicht mittelmäßig.

Nicht so gut, als hinter den Gänsen, Säuen und Ochsen ging es Klas hinter den Bänken des Schulmeisters. Er hatte zum Lernen wenig Lust und Geschick und konnte es in vier Jahren kaum zum Lesen bringen; denn was er im Winter gekonnt, hatte er im Sommer im Felde und Walde immer richtig wieder ausgeschwitzt, so daß seine Brüder und die Nachbarkinder in der Schule immer weit mehr gelobt wurden als er. Doch hatte der alte Schulmeister ihn sehr lieb und gab ihm das Lob der Sittigkeit, des Gehorsams und der Frömmigkeit. Im Hause gab das unter den Alten manchen kleinen Verdruß. Peter, der ihn von allen seinen Kindern am liebsten hatte, was er sich aber nie merken lassen wollte, setzte sich oft allein mit ihm hin und half ihm seine Lex zurecht. Aber sie kamen damit doch nicht durch, Greth nannte ihn oft ihren breiten Dickkopf, und Peter konnte es nicht wenden, er mußte es anhören und still dazu schweigen, ja er mußte es wohl leiden, daß der Jürgen und Joachim und Christoph, seine Brüder, und die Thrine und Therese, seine Schwestern, als geschicktere und klügere Kinder gelobt wurden. Dann sagte sie zuweilen auch wohl spöttisch: - sie war sonst eine herzensgute Frau - Peter, wir wollen doch sehen, was aus deinem Klas wird; ich wollte, er hieße Johannes, er wäre anders geworden. Das schlug dann dem Fasse den Boden aus, Peter nahm die Mütze und ging auf den Hof und in den Pferdestall, daß er sich auslüftete und wieder besänne. Und wann er sich besonnen hatte und wieder zurück kam, brummte er wohl für sich: Klas wird doch der beste werden. Klas gab nemlich ein anderes großes Zeichen von sich, worauf der Vater Häuser bauete: seit seinem vierten Jahre rief der Knabe immer , sobald er heftig ward oder was Heftiges und Ungestümes beginnen wollte, besonders wenn er die Fäuste zu Schlachten ballte. Das that kein anderes von Peter Avenstakens Kindern, obgleich sie das Wort aus dem Munde des Vaters oft genug hören konnten. Und Peter erlebte die große Freude, daß Klas vor seinem neunten Jahre im ganzen Dorfe von Alt und Jung Klas Grad dör genannt ward und daß die Leute zu Dümmelshusen wieder sagten: .

Klas war zwölf Jahre alt geworden, war für sein Alter ungewöhnlich groß und stark, stand sehr grad und fest auf den Beinen, hatte einen großen Kopf und breite Stirn mit langen hängenden Flachshaaren, unter welchen er aus ein paar trotzigen blauen Augen guckte. Viele Leute sagten, er wäre ein schöner Junge, Peter, sein Vater sagte, er ist der schönste Junge im Dorfe, aber Greth meinte, er sey zu plump und dick und seine Brüder seyen viel schöner. Da kam der dreizehnte Herbst seines Lebens, und mit dem November jenes Herbstes verschwand Klas durch eine der wunderbarsten Begebenheiten, die ich jetzt erzählen will, plötzlich aus dem elterlichen Hause.

Peter hatte einen neuen Knecht gemiethet, der mit dem ersten November zuzog. Dieser hieß Hans Valentin und war schon ein ältlicher Mann von fünfzig Jahren. Der Knecht war nicht lange im Hause, so schloß er mit den Knaben eine sonderliche Freundschaft, am meisten aber mit Klas. Valentin wußte nemlich viele Fabeln, Geschichten und Mährchen und allerlei alte längst verschollene Leuschen[1], und erzählte sie abendlich nach der Arbeit den Kindern; und er ward durch seine schönen Geschichten bald so berühmt, daß auch die Kinder der Nachbarschaft häufig in Peters Haus kamen, damit sie ihn hörten. Dies geschah meistens des Samstags und Sonntags Abends, wo Valentin Zeit hatte zum Erzählen. Die Buben brachten dem Valentin Äpfel und Nüsse mit und andere schöne Sachen, und so setzte die Genossenschaft sich in einer Ecke hin und schmauste und erzählte. Das war aber das Besondere, daß von allen Kindern keiner die Geschichten besser behielt und lebendiger wieder erzählte als Klas; so daß Peter ihm oft mit Wohlgefallen zuhorchte und schmunzelnd der Greth zurief: Hörst du's Greth? hörst du's, wie der Klas der Blitzjunge erzählen kann? Sie aber ließ es kalt abgleiten und sagte wohl: Ja ein Klas ist er und ein Klas bleibt er, ein rechter Mährchenklas, aber Schulze wird er nie werden, denn er kann ja nicht schreiben. So sprachen die Altern über Klas jeder auf seine Weise; sie merkten aber nicht, daß mit Klas eine große Veränderung vorging und daß Valentin ihn viel lebendiger und im Herzen viel lustiger machte. Denn die Geschichten ergriffen den Jungen so, daß er nichts anderes sah und hörte, dichtete und träumte als Hexen und Hexenmeister, Drachen und Riesen, bezauberte Prinzessinnen und verwünschte Schlösser. Ja es ging so weit, daß der Knabe manche liebe Nacht davor gar nicht schlafen konnte, sondern oft die Augen noch offen hatte, wann der Hahn durch seinen fünften Krei schon verkündigte, der Himmel wolle seine geschlossenen Augen wieder aufthun.

So war Valentin mit seinen Buben bis gegen das heilige Christfest hingekommen, wo die langen Abende und die vielen Festtage zu Spielen und Mährchen Gelegenheit gaben und wo alle Welt wegen der Geburt des süßen Jesuskindleins sich mancherlei Festen und Freuden überließ und wo Freunde mit Freunden und Nachbarn mit Nachbarn lustig lebten. Valentin hatte bis auf diese fröhliche Zeit seine besten Geschichten aufgespart, er hatte den Kindern, welche nebst den Alten ihn reichlich mit Gaben bedacht hatten, wie man zu sagen pflegt, seine Mäusekiste aufgethan. Von allen Geschichten aber, die er ihnen auftischte, wurden sie am meisten erfreut durch die von dem Pfannkuchenberge und von dem gläsernen Berge, zu welchen er mit heller Stimme folgende feinklingende Reime zu singen pflegte:

Wer sagt mir an, wo der Pfannkuchenberg liegt,
Gespickt mit Ochsenbraten,
Mit Zucker und Marzipan gefüllt
Und Scheffeln voll Dukaten?

Gläserner Berg, gläserner Berg,
Wann springst du auf?
Spielender Zwerg, künstlicher Zwerg,
Wann wachst du auf?

Wann die Glock Zwölfe schlägt,
Wann der Dieb Säcke trägt,
Dann spring' ich auf;

Wann der Hahn zum zweiten kräht
Und der Mond am höchsten steht,
Dann wach' ich auf.

Diese Geschichten gefielen so sehr, daß sie wenigstens vier Tage hinter einander immer mit neuen Ausschmückungen erzählt werden mußten, zumal da, wie Valentin wußte, die beiden Berge in der Nachbarschaft lagen in dem hohen Forst, in welchem er den Knaben, die dort oft das Vieh gehütet hatten, die Eiche und Buche ganz deutlich beschrieb und bezeichnete, die auf ihrem Gipfel ständen. Bei Tage, setzte er hinzu, kann man diesen Bergen freilich nicht ansehen, was sie eigentlich sind, dann sehen sie aus wie alle andere Berge; aber um die Mitternacht sind sie, was sie sind, der eine von dem allerklarsten und allerdurchsichtigsten Glase, wo Mond und alle Sterne durchscheinen bis auf den Grund, und der andere der prächtigste Pfannkuchen, so prächtig, als er nie in einer Pfanne gebacken ist. Die Sage geht, winkte er dann freundlich und mit leiserer Stimme, daß, wer in den Pfannkuchenberg steigt, ein großer König wird, und wer in den gläsernen Berg springt, ganze Säcke mit Dukaten und goldenen Bechern und silbernen Schalen mit zu Hause trägt; aber wer hat dazu den Muth? Solche Leute werden nicht alle Tage gebohren.

Das Wörtlein: gab nun, wie es unter Knaben zu geschehen pflegt, Gelegenheit zu vielem Necken, und sie wetzten, drillten und foppten einander damit, und einige Wochen hörte man am Schluß jeder Geschichte immer durchklingen: und einige Schälke sagten auch wohl . Und Klas zuckte es dann immer in den Fingern, und er hätte sie gewiß gebraucht, wenn der Vater nicht dabei gewesen wäre; denn Peter strafte es hart, wenn die Buben sich in seiner Gegenwart rauften. Indessen ging das Wort und die Neckerei immer fort und auch das Wort so daß es dem Knaben endlich zu toll ward und er bei sich selbst dachte: es ist doch auch schlecht, daß ich den Muth nicht haben soll. Und eines Abends, als sie wieder so stichelten und stachelten, entfiel ihm im Zorn das Wort: ja Klas Grad dör hat den Muth, wenn ihr den Muth habt mit dabei zu seyn; und ihr könnt nun wählen, was ihr wollt, ich nehme mir den Pfannkuchenberg, worin der König sitzt, wo die große Buche steht, und will voransteigen als der erste, wenn ihr mitsteigt. Und sie schämten sich und schrieen alle: Ja! Ja! wir wollen mit; denn es war eben der helle Mittag und sie däuchten sich alle des Muthes überflüssig zu haben, und hatten ihn damals auch. Und so neckten sie sich den ganzen Tag und Abend fort und fort, und Valentin und Peter und Greth und die Knechte und Mägde, die es hörten, zogen sie auf; denn sie glaubten nicht, daß es ihr Ernst sey. Die Knaben aber wurden dadurch nur noch auf ihren Vorsatz und der steife Klas hielt die andern fest, indem er ihnen alles auf das herrlichste vormalte, wie lustig sie dort leben und mit welchen Schätzen und Herrlichkeiten sie zu Hause kommen würden.

So war es Abend geworden, und es schlug zehn Uhr vom Kirchthurm, da rief Klas: Frisch, Gesellen! heraus! es ist Zeit, wir haben über eine halbe Meile bis zum Walde. Und die Gesellen gingen hinaus mit ihm, seine drei Brüder und noch fünf andere Knaben, alle in Sonntagskleidern und mit weißen Stöcken in der Hand; denn mit weißen Haselstöcken soll man Geistern und Abentheuern entgegen gehen. Und die Alten riefen und lachten hinter ihnen her, und der Valentin lachte am lautesten, und sie dachten: die werden keine Berge sprengen sondern bald wieder hier seyn.

Und die Knaben strichen geschwind über das Feld hin, und Klas lief allen voran, so brannte die Lust ihn, und sie krächzeten und kakelten und jauchzeten, wie Krähen krächzen, wenn man sie von den Bäumen aufjagt, und Hühner kakeln, wenn man ihnen den Flug aufthut. Und alle blieben bei dem Vorsatz und waren voll Muthes, bis sie die Bäume des Waldes sehen konnten; da wurden sie fast alle still. Als sie aber an den Wald kamen und die hohen Bäume rauschen und die Wasser der Gießbäche aus der Ferne brausen hörten, da standen sie still, der einzige Klas lief hinein. Und da er die andern nicht folgen sah, schalt er sie; sie aber achteten des nicht, sondern sagten der eine dies der andere das, und keiner wollte mit. Da nannte er sie feige Memmen und rief ihnen spöttisch zu: und dann rauschte er sporenstreichs durch die Sträuche fort immer bergan. Sie aber rauschten über das Feld zurück nach Hause und machten so geschwinde Schritte, als hätte ein jeder ein Gespenst an den Fersen gehabt.

Und Klas lief eilends seines Weges auf manchen krummen Pfaden, die er kannte, bergauf bergab, bis er auf der höchsten Höhe des Forsts die Buche nicken sah. Da mußte er auch still stehen und ihm wollte der Muth auch fast klein werden, zumal da er wohl vier Kirchenglocken aus der Ferne eben zwölf schlagen hörte. Aber wie er ein wackerer Bub war, so sprach er sich das Wort zu, das sein Vater ihm so oft gesagt hatte: ein Kerl müsse nie vor einem Entschlusse umkehren, den er in lustiger Stunde gefaßt habe, und, wenn es zur That komme, sich wie ein Hase auf die Hinterfüße setzen; und Klas rief daß der Wald wiederhallte, und so sauste er den Berg hinan. Und er kam hin, wo er eben die Buche noch gesehen hatte, aber sie stand nicht mehr da, wohl aber duftete und schimmerte der schönste Pfannkuchenberg im Mondschein. Und Klas bedachte sich nicht lange, that beherzt seine beiden Augen zu, richtete sich mit beiden Füßen auf die Zehenspitzen, wagte den Sprung und rief: .

Und der Sprung misrieth ihm nicht, und er glitt sanft in den Berg hinein und sank leise und langsam hinab, als wäre er gefahren, wie man Eier im Hopfensack zu fahren pflegt. Und es däuchte ihm, er ward lieblich hinabgeschaukelt und hinabgewiegt und daß er entschlief und wundersame Träume hatte, worin ihm sein alter Hans Valentin erschien und ihm gar wohlgefällig und freundlich zulächelte.

Und als er erwachte, da war es dämmerig um ihn her, er fühlte aber, daß er in einem weichen Bette lag, auf so weichen und feinen Kissen, als Greth seine Mutter ihm nie untergelegt hatte. Und das gefiel ihm sehr. Aber ihn hungerte, und das gefiel ihm nicht. Da fing es an hell zu werden und er bedachte und besann sich über gestern und über die vorigen Tage und sprach: Hier soll ich ja im Pfannkuchenberg seyn, will sehen, ob Valentin mir auch was vorgelegen hat. Und er rieb sich die Augen auf und es ward lichter um ihn; es fiel aber nur ein dämmerndes Licht von oben herab. Und seine Augen freueten sich, und sein Herz freuete sich noch mehr; denn was ward er gewahr? Daß er nun wirklich mitten in dem Pfannkuchenberg war und daß der alte Valentin nicht gelogen hatte. Denn er war nun in einem Zimmer, worin ein Bett und ein Tisch und eine Bank war, fast wie in seines Vaters Hause; nur alles netter und zierlicher. Und das Zimmer war ringsumher gar herrlich geschmückt und verhangen. Da waren die Wände mit gebratenen Gänsen und Enten und Hühnern und Schnepfen und Rebhühnern und Wachteln und Krametsvögeln wie mit den schönsten Tapeten in der buntesten Mannigfaltigkeit verziert und mit Hasen und Hirschen und Rehen in Menge, und die schönsten Schüsseln und Teller und Messer und Gabeln hingen dabei. Das war die eine Seite. Und die andere Seite war mit Kuchen ausgeschmückt und mit Zuckerwerk und Marzipan und mit köstlichen Früchten, Pfirsichen, Aprikosen, Apfelsinen, Weintrauben, Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Nüssen und was Zunge und Zahn sich in ihrer Lüsternheit nur wünschen mögen zu schlürfen und zu beißen. Und an den beiden schmaleren Enden des Zimmers standen blühende Bäume und Bäume voll Früchte, und unter den Bäumen liefen je zwei Quellen heraus: an dem einen Ende war eine Wasserquelle und eine Milchquelle, und an dem andern Ende war eine Bierquelle und eine Weinquelle. Klas kümmerte sich um zwei Quellen gar wenig, nemlich um die Wasserquelle und die Bierquelle sondern gebrauchte allein die Milchquelle und die Weinquelle. Dieses ganze Zimmer war ein Wunder, aber das größte Wunder daran war, daß jeder verzehrte Braten und jede verschlungene Birne oder Traube gleich wieder an derselben Stelle wuchs, wo er sie weggerissen hatte, und daß die Milchquelle und Weinquelle nie versiegten. Ja ich glaube, ein ganzes Heer Reiter und Fußvolk hätte in dem Pfannkuchenberge ein Jahrtausend essen und trinken können, und es wäre nicht all geworden.

Und unser Klas aß und trank wie ein Kerl, ja er aß und trank übermäßig, und es bekam ihm doch nicht übel. Das geschah ihm aber immer, daß er sogleich nach dem Essen und Trinken einschlief, so daß man fast sagen mag, er that nichts anderes als essen, trinken und schlafen. Er wachte aber etwa fünfmal des Tages auf, und dann aß und trank er jedesmal tüchtig; die Nächte durch aber schlief er immer in Einem fort vom Abend bis zum Morgen, ohne daß er je erwachte. Weil dies nun sein Leben war und sein dämmerndes Zimmer ihn an nichts erinnerte, was er dort oben auf der Erde erlebt und gesehen hatte, so verschwand ihm das Vergangene fast ganz aus dem Gedächtnisse. Nur seines Vaters Peter gedachte er zuweilen und des treuen Valentins und des freundlichen alten Schulmeisters; aber das war ihm auch nur wie ein Traum. Das aber hielt er von göttlichen und heiligen Dingen und Gewohnheiten fest, daß er jedesmal, ehe er aß, sich kreuzete und die Hände faltete und betete. Er konnte aber nur Ein Gebet, das nicht sehr lang war, und hieß:

<blocckquote>Fürchte Gott,Liebes Kind,Gott der HerrSieht und weißAlle Dinge.

Dies Gebet betete er immer sehr andächtig. Seine Schlafstunden bei Tage und auch die Nacht, wo er im Bette lag, waren ein ewiger Traum, und zwar ein sehr bunter und lustiger Traum, wo alle Valentinische Geschichten und Mährchen wunderbar aufblüheten und wieder tausend andere Geschichten und Mährchen gebahren, wo er immer mitten drinnen war und ungeheure Thaten vollbrachte, Drachen und Riesen erschlug eiserne und diamantene Thore zersprengte Prinzessinnen befreiete und endlich König ward.

Klas verlebte auf diese Weise, ohne daß er wußte, wie ihm geschah, in seinem Pfannkuchenberge ein ganz vergnügtes und lustiges Leben. Es war aber in dem Traume jemand da, der ihm die Geschichten erzählte oder vormachte. Dies war nicht Valentin sondern seine verstorbene Großmutter, die er in seinen frühesten Kinderjahren noch in seines Vaters Hause gesehen hatte. Diese schien dann zu seinen Häuptern zu stehen oder auf den Knien vor ihm zu liegen und über ihm zu beten, und erzählte ihm zuletzt immer Geschichten. So hat er es in späteren Jahren oft mit tiefer Bewegung erzählt und gemeint, wenn etwas Gutes aus ihm geworden, so verdanke er es den stillen Gebeten dieses frommen und von Gott erlöseten Geistes, der seinen Irrthum, womit er in den Berg hinabgesprungen, zum Guten gewendet habe.

So waren ihm fünf Jahre vergangen wie Ein Tag, und essend und trinkend war er immer tiefer hinabgesunken, und das Zimmer hatte sich mit ihm gesenkt. Und er hatte sich glücklich durch den zauberischen Berg gefressen; denn durchfressen mußte sich, wer hineinsprang, hatte Valentin gesagt, anders konnte er nimmer aus dem Berge erlöst werden. Wie viel er aber in dieser langen Zeit gegessen und getrunken hat, wer will das wohl ausrechnen? Gewiß ist es aber nicht weniger gewesen, als zehen der unverdrossensten Esser und Trinker nur hätten bezwingen können. Auch war es nicht verloren an ihm sondern er war ein gar starker und reisiger Jüngling geworden. Davon wußte er aber nichts, denn er hatte niemand, an dem er's hätte versuchen können, auch war kein Spiegel in seinem Zimmer, der es ihm hätte verrathen können.

Als nun die fünf Jahre um waren und Klas sich unten bis an den Rand durchgefressen hatte, und nun wieder herausfallen sollte auf die Erde, damit sein Schicksal erfüllet würde, fiel er in einen tiefen Schlaf, und ihm träumte ein sonderbarerer Traum, als er je gehabt hatte. Die alte weise Frau nehmlich, die immer bei ihm saß und ihm Geschichten erzählte und aussah wie seine selige Großmutter, schien ihm sehr traurig und gebehrdete sich, als wenn sie Abschied von ihm nehmen wollte, ja sie sagte es ihm. Und es däuchte ihm, als wenn sie sehr brünstig und mit vielen Thränen über ihm betete und ihn dann aus dem Bette nahm und ihn wusch, wie man ein kleines Kind wäscht, bis er weiß ward wie ein Schwan, und als wenn sie ihm dann ein weißes Hemd anzog und einen sehr zierlichen neuen Rock und neue Schuhe und Strümpfe, und dann verschwand. Und auch ihm schien sehr traurig zu seyn in seinem Herzen. Und dies war wirklich kein Traum gewesen sondern er war drinnen rein gewaschen worden und neu gekleidet vom Haupt bis zu den Füßen, und so war er im Traum aus dem Berge herausgefallen. Er hatte es aber nicht gemerkt sondern diese Wundergeschichte verschlafen.

Weil Klas Avenstaken nun wieder auf der Erde erscheinen soll, so muß ich erzählen, wie es die fünf Jahre, wo er im Pfannkuchenberge lebte, in seines Vaters Hause gegangen war. Es hatte sich dort seit seinem Verschwinden nichts Ungewöhnliches begeben, sie lebten gottlob noch alle, die Altern und die Geschwister, und seine mitternächtliche Pfannkuchenbergfahrt war wirklich das einzige Außerordentliche gewesen, was das Haus in so langer Zeit erlitten hatte. Es war lange Trauer um ihn gewesen, besonders in dem Herzen seines Vaters, der es sich aber nicht merken ließ, auch in dem alten ehrlichen Valentin, den die Mutter überdies wegen seiner Geschichten noch viel ausgescholten hatte. Es war aber seit jener Zeit alle Freude von ihm gewichen und kein Mährchen mehr über seine Lippen geklungen, und der alte Mann, der sonst so munter und scherzhaft war, war fast stumm und grämlich geworden. Auch hatte er aus dem Hause und dem Dienst weggewollt, Peter aber in seiner Gutmüthigkeit hatte es nicht zugelassen, und gesprochen: hat der Valentin so großes Leid mit uns erfahren, so soll er nun auch das bischen Brod mit uns essen bis an sein Lebensende. Von Klas ward übrigens fast nicht mehr gesprochen oder doch nur leise geflüstert; die meisten Leute und auch seine Mutter meinten, die bösen Geister seyen mit ihm abgefahren und das Knäblein werde in diesem Leben nicht wiederkommen. Nur Valentin und Peter sprachen zuweilen unter sich noch von dem Knaben, den sie beide so lieb gehabt hatten, und hegten verschwiegen die Hoffnung, er könne doch noch wohl mal wiederkommen. Die beiden glaubten auch an die Geschichten, die sie so gern erzählten oder erzählen hörten. Und siehe! ihre Hoffnung betrog sie nicht; denn Klas kam wirklich wieder. Nun muß ich erzählen, wie dies geschehen ist.

Weil Wunder immer auf das wunderbarste geschehen, so begab es sich, daß Klas gerade auf derselben Stelle, wo er einst versunken, aus dem Pfannkuchenberge wieder in diese Welt hineingefallen war. Das konnte nun doch nicht anders geschehen, als daß der Pfannkuchenberg sich umgekehrt hat, und daß die ganze Welt sich mit ihm umgekehrt hat. Eines von beiden mußte geschehen seyn, und weil es so war, deswegen heißt es ein Wunder; denn ein Wunder ist, was jeder Mensch wohl wissen aber doch kein Mensch begreifen kann. Kurz und gut, als Klas erwachte, lag er nicht in seinen weichen Betten sondern im grünen Grase und sah seine wohlbekannte Buche wieder und den hohen Berg, worauf er so oft die Rinder getrieben hatte, und den ganzen Wald und das Feld drunten, und die Dörfer und ihre Kirchthürme kamen ihm wieder wie alte Bekannte vor, jene fünf im Pfannkuchenberge verlebten Jahre aber waren ihm wie ein Traum, und es war ihm nicht anders, als sey nur eine Nacht vergangen zwischen dem Abend, wo seine Brüder und Gesellen von ihm liefen, und diesem Morgen, wo die Lerchen der Erde ihn wieder wach sangen. Es war aber ein sehr schöner Frühlingstag, als er sich durchgefressen hatte und wieder aus dem Berge fiel.

Klas lag nicht lange im Grase und g