Entwurf der Erzeihung und Unterweisung eines Fürsten
Ihrer Majestät der regierenden Kaiserin aller Preußen
Elisabeth Alexievna und Ihrer Königlichen Hoheit
der Herzogin von Würtemberg Antonia Amalia
unterthänigst geweihet.
Erhabenste Frauen!
Sie kennen die zufällige Entstehung dieser Worte; Sie haben sie mit gnädiger Nachsicht aufgenommen. Nehmen Sie im Namen der Welt den Dank und das Zeugniß des Glaubens und Stolzes, womit Sie gegen das Verbrechen und die Schande für die Tugend und Ehre gestanden sind. Gott verleihe Ihren edlen Herzen ein befriedetes Europa, ein glorreiches Vaterland und ein freies Teutschland zu sehen, das niemand reiner liebt, als Sie.
Ich ersterbe mit der tiefsten
Verehrung,
Erhabenste Frauen,
Ihr unterthänigster
E.M. Arndt.
* * *
Ein Adler flog ich einst hinein ins Leben,
Ein Adler, sonnenkühn und frisch und jung,
Der süße T rieb, den mir der Gott gegeben,
Erregte meiner Flügel muntern Schwung,
Die Erde sah ich unter mir verschweben,
Zum Himmel trug mich hoch Begeisterung,
Aus fernen Welten tönten Wunderklänge
Und alle Sphären sangen mir Gesänge.
O goldne Zeit! o sel'ge Himmelshöhen!
O einzigschönes Land der Fantasien!
O hohe Wunder, die ich dort gesehen!
O Blumen, welche überirdisch blühn!
O Lüfte, die wie Engelodem wehen!
O Träume, welche selbst als Engel ziehn,
Als bunte Vögel zu der Zeit des Maien,
Wann alle Kreaturen sich erfreuen!
O süße Fahrt auf deinen Oceanen,
Erhabner Walter, wunderbarer Geist,
Wo unermeßlich durch die Sonnenbahnen
Der Feuerstrom des ew'gen Lebens fleußt,
Wo alle Sinne stolz zur Tugend mahnen,
Wo jede Hoffnung hält, was sie verheißt,
O frommes Ahnden, unergründlich Lieben,
Unendlich Glauben, wo seid ihr geblieben?
Ihr seid dahin, und kehret nimmer wieder,
Nur einmal blühet eure Zauberwelt,
Der stolze Wahn sinkt von dem Himmel nieder,
Er fühlet nun, wie tief der Gott hier fällt,
Die lahme Schwinge streifet müd und müder
Am Boden hin, die einst das Sternenzelt
Mit edler Kühnheit wagte zu durchmessen,
Hoch ob Olympen fliegend und Permessen.
Das war der Glanz von deiner ew'gen Schöne,
O Tugend, die mein kindlich Herz entzückt,
Das euer Klang, ihr hohen Wundertöne,
Die meine stillen Träume oft beglückt?.
Das waret ihr, ihr stolzen Göttersöhne,
Heroen ihr, mit jedem Glanz geschmückt?
So jäh warst du, o Sturz von jenen Höhen,
Wo ich bei Göttern göttlich mich gesehen?
Selbst du, des Liedes holde Wundergabe,
Selbst du, der Rede himmlische Gewalt,
Was mit beseelten Lippen schon der Knabe,
Mit frohem Stammeln schon das Kind gelallt,
Apollon, selber deine süße Gabe
Erstarret an des Tages Mordgestalt,
Wie welche das Medusenbildniß sahen
Von Eis und Stein ein kaltes Herz empfahen.
So klingt die Klage und sie hat geklungen,
So lange Geister hier in Leibern gehn;
Vieltausendmal hast du dich rundgeschwungen,
O Sonne, um der Alpen höchste Höh'n,
Vieltausendmal bist du dem Meer entsprungen –
Doch hast du Einen Glücklichen gesehn?
Von Millionen Menschen auch nur Einen,
Die deine Strahlen liebewarm bescheinen?
Du kennst die Wonne der erhabnen Seelen,
Erhabne Frau, du kennst auch diesen Klang;
Was Geister leise Geistern nur erzählen,
Das spricht in zarten Räthseln der Gesang,
Er wohnt mit Herrschern in den Kaisersälen,
Er spielt mit Hirten an des Hügels Hang,
In tausend Bildern, Farben und Gestalten
Darf er der Götter Wunderwelt entfalten.
Er flieget leicht, der Genius der Zeiten,
Er schreitet schwer, des Schicksals ernstes Bild,
Was frei ertönt aus seinen goldnen Saiten,
Das hat sich wahrlich je und je erfüllt,
Er ist Prophet und kann Orakel deuten,
Wann rein sein Strom aus der Begeist'rung quillt,
Ein weißer Schwan erschwingt er sein Gefieder
Und singt den Himmel zu der Erde nieder.
Nimm diesen Himmel, nimm die hohe Weihe,
Den Spruch des innern, heiligsten Gerichts,
Der Gott der Sterne ist der Gott der Treue,
Der Gott der Sterne ist der Gott des Lichts,
Vernimm es, daß sich deine Seele freue:
Die schwarze Schande stürzet in ihr Nichts,
Gerechtigkeit wird um den Erdball walten
Und seine Welt wird Gott der Herr erhalten.
Es ist kein Trug, was hohe Seelen schwellet,
Was kühne Geister denken, ist kein Wahn,
Das Licht, das dir den tiefen Busen hellet,
Blitzt durch der Götter Brust, der Sonnen Bahn,
Die Kraft, die List und Lug und Schande fäller,
Wird ihres Glaubens schönen Kranz empfahn,
Sie heißet Einfalt, Unschuld, Demuth, Friede,
Und schirmt das Glück mit leuchtender Aegide.
* * *
Knabe war ich, es drang kein Ruf von gewaltigen Dingen
Unter das strohene Dach, welches die Kindheit geschützt,
Einfalt wohnte mit mir und stille freundliche Sitte,
Frömmigkeit lullte mich ein, Frömmigkeit weckte mich auf,
Liebe führte mich mild durch Büsche und Felder und Auen,
Liebe zeigte mir fromm Götter und Sterne zuerst;
Und es hüteten noch mit mir die Engel des Himmels
Heerden des Vaters im Hain, Heerden am brausenden Meer,
Kamen als Träume herab, als schöne und helle Gesichte,
Wie in der ältesten Zeit, spielten als Kinder mit mir.
O was ruf' ich zurück in Tagen des Jammers, der Sünde,
O was ruf' ich zurück, Kindheit, dein seliges Bild,
Als mein Taubenschlag noch die fliegendsten Wünsche begränzte,
Als mein Mäldchen mir noch däuchte die weiteste Welt,
Als die Bibel mein Buch, mein einziges Buch und mein Licht war,
Und dein goldener Mund, Mutter, mein höchstes Gesetz?
Ach! es rollte sich bald die Hülle der Unschuld herunter,
Frühe zeigte sich mir mit der unendlichen Weit
Auch die unendliche Macht, die hoch über Donnern und Blitzen
Wettert und leuchtet – ich sah, eisernes Schicksal, dich früh,
Und ich trug es so jung dein unerbittlich Verhängniß,
Trug es im schweigenden Ernst, trug es im traurenden Blick.
Oft ermahnte mich dann mein fröhlicher Vater: sei fröhlich!
Oefter die Mutter und schalt: Bube warum so allein?
Wenn ich mit Arbeit den Tag, mit bretternem Lager die Nächte
Feierte, schüttelten sie traurig das liebende Haupt;
Denn sie meinten, es werde der Sohn, ein finsterer Träumer,
Sich und andern die Luft tödten in künftiger Zeit.
Ich aber sprach: wer weiß, wozu die Uebung mir frommet?
Ich aber sprach: wer weiß, was mir das Schicksal bestimmt?
Leichthin sprach ichs, doch schwer erdrückten mich Lasten der Liebe,
Die nur ein eisernes Herz, nimmer ein menschliches trägt.
Abwärts weint' ich allein und traurig, daß ich so traurig
Machte, die zärtlich ihr Herz senkte in meines hinab.
Jahre, ihr seid nun verrollt, ihr schlimmen und trüblichen Jahre,
Lange erleuchtet ist mir Schicksal und Menschheit und Gott;
Aber gekommen ist doch, was frühe den Knaben geahndet,
Arbeit und Noth und Gefahr, Unheil und Zwietracht und Krieg:
Nicht umsonst warst du, o Tag voll bitterer Kämpfe,
Nicht vergeblich dein Ernst, stille und denkende Nacht;
Wohl bedurfte der Mann die feste und stählerne Rüstung,
Welche der Knabe sich schon hart um die Brüste gewölbt.
Freude gabest du mir, o Leben, Freude und Liebe,
Du, o reiche Natur, Freude und Segen genug;
Doch die Ahndung hat auch ihr dunkles Verhängniß erfüllet
Bis auf den heutigen Tag, alles mit Strenge erfüllt.
Zeugen mögt ihr mir nun, ihr heiligen Geister der Liebe,
Freundlicher Vater, und du, tapfere Mutter, mit ihm,
Zeugen möget ihr mir nun droben im sternigen Reigen,
Wie ich die Zukunft gefühlt, wie ich das Schicksal gefühlt.
O ihr zeuget mir oft, ihr haucht wie heilige Lichter
Himmlischen Athem mir ein, göttliche Wonne mir zu.
Tochter Germaniens, sey gegrüßet mir, edele Fürstin!
Nimm den prophetischen Klang, nimm das erröthende Herz,
Nimm das verhallende Wort, den flüchtigem Athem der Stunde –
O du bist menschlich und fromm – nimm denn das Menschliche hin!
Kühnliches hörest du gern und Tapferes kannst du ertragen,
Nimmer in bänglicher Furcht zaget dein fürstlicher Sinn,
Ueber den blutigen Staub und über die wilden Getümmel,
Welche der Augenblick tönt, hebt sich dein freudiger Muth.
Laß ihn fliegen und leuchten und blitzen in heiligen Flammen!
Stolzem Vertrauen drückt gern göttliches Siegel sich auf. –
Sich ich verkünde es dir, so wahr mir der Gott in die Seele
Künftiger Tage Geschick, Deutung der Zukunft gelegt:
Herrliches wirst du noch sehn, das heilige Volk der Germanen,
Wieder ein ritterlich Volk, stehen gerüstet mit Kraft;
Herrliches wirst du noch sehn, die Heldengestalten der Väter
Wieder in Enkeln erblühn, blühn mit dem Scepter und Schwerdt.
Dann wird Freiheit den Erdball umwalten, Gerechtigkeit herrschen,
Klingen gefürchtet das Wort, leuchten gefürchtet das Schwerdt,
Ueber den blutigen Staub und über die Lüge des Tages
Schweben die Wahrheit, das Recht, glänzende Engel, dahin.
Nimm denn die Wonne dir, nimm die Gewißheit mit liebendem Herzen,
Nimm den herrlichen Wahn, fürstliche Seele, denn hin!
Selig, welche bestanden und unbefleckt von der Schande
Hielten den heiligen Stolz, hielten den gläubigen Sinn!
Gott wird richten und hat gerichtet, der mächtige Walter.
Klinge prophetischer Klang! halle verfliegendes Wort.
Das Kind, welches einst Fürst und Herrscher seyn soll, wird geboren wie andere Kinder, hat ein allen übrigen Sterblichen ähnliches Verhängniß, und ist den meisten Gesetzen äußerer und innerer Nothwendigkeit unterworfen, welche über uns andern walten. Mit Einem Worte, ein fürstliches Kind ist ein Mensch wie alle andern und ihnen allein darin ungleich, daß sein Schicksal noch ernster und gewaltiger ist, als das, was über die niedrigeren Häupter hin, wandelt: über ihm donnert es schon, wenn es sich über diesen kaum wölket. Auch dieses Kind ist ein Mensch und soll ein Mensch werden, es soll unter Menschen leben und handeln, es soll einst über Menschen gebieten. Man muß ihm also die menschliche Mitgift der Natur nicht verkümmern, wodurch es fröhlich und muthig unter Menschen leben kann. Wodurch andere Menschen glücklich und tüchtig werden, kann auch dieser junge Mensch nur glücklich und tüchtig werden. Man muß ihn also erziehen, unterweisen und bilden, wie wackere Aeltern den Kindern thun, an welchen sie Freude, Tugend und Ruhm erleben wollen. Die Gesetze müssen dieselben bleiben für alle; nur das Maaß ist verschieden. Man muß ein größeres Maaß an den legen, der sich künftig in den weitesten Kreisen bewegen soll.
Ueber das Leben gebieten drei große Mächte, sie heißen Liebe, Nothwendigkeit, Freiheit: drei herrliche Geschwister göttlicher Abkunft. Im Himmel bestehet jede für sich gleich hoch und gleich glückselig; auf Erden müssen sie Hand in Hand wandeln, wenn ein glückliches und würdiges Leben seyn soll.
Diese drei himmlische Schwestern stehen drei Straßen vor, welche in das Leben und durch das Leben führen und welche die drei Landstraßen des Lebens heißen könnten. Man könnte sie Kaiserstraßen oder Königsstraßen nennen, wie in gewissen Ländern die großen Wege genannt werden, auf deren Beunruhigung und Entfriedung eine hohe Strafe steht. Außer ihnen giebt es noch eine vierte Straße, die breiteste und weiteste von allen, ohne Meilenweiser und Wegzeiger, ohne Brücken und Stege, ohne gesetzliche Besserung und Befriedigung, ja ohne alle bestimmte Messung und Richtung; auf ihr liegt Dunst und Nebel, um sie flattern Gespenster und Irrlichter, Faulheit und Unwissenheit sind auf ihr die Führerinnen, Wüsten und Sümpfe sind ihr Ausgang. Und doch muß diese Straße die anziehendste seyn, weil die meisten Menschen gedankenlos und sorgenlos auf ihr einherschlendern und worauf sie wandeln nicht eher inne werden, als bis sie in pfadlosen Wüsten und Steppen sich verloren haben.
Diese drei Mächte und diese vier Landstraßen wollen wir immer im Auge behalten, weil auf sie alles bezogen werden muß, was Leben heißt und was Erziehung und Bildung für das Leben seyn soll. Wir betrachten die drei Mächte genauer. Durch diese Betrachtung werden wir auch die drei Landstraßen erkennen, und endlich noch eine vierte Macht gewahr werden, eine verwahrlosete Bastardschwester jener drei großen Parzen des Lebens, deren Name Eitelkeit oder Schwäche heißt und welche der weiten und breiten Straße der Menge vorsteht.
Wer bist du, erstgebohrne Schwester? wer bist du, himmlische Liebe? wie soll ich dich nennen, Namenlose? wie soll ich dich zeigen, Unsichtbare? Ebenbild Gottes, Puls und Athem aller Freude und alles Lebens, Urquell aller Schönheit und aller Milde, Gestaltlose und doch alles Gestaltende, Unbewußte und doch alles Wissende, Gottes Kind, Gottes Schwester, Gottes Liebling, und Gottes Rath! Unschuld und Demuth sind deine Gespielen, Kindlichkeit und Freude sind dein Wesen. Die dich haben, kennen dich wohl; die dich nicht haben können dich durch Worte nicht lernen. Doch bist du zu zart für diese Erde voll Staub und Blut und Arbeit und Streit; deswegen weisest und sehnest du immer wieder zu dem Himmel empor, deswegen kannst du hier unten in dem Lande der Unvollkommenheit und Zwietracht allein nicht bestehen. Denn die eisernen und steinernen Gewalten, die hier gebieten, würden dich zermalmen, wenn du nicht eine geharnischte Gesellin hättest.
Diese Gesellin heißt Nothwendigkeit, ernst, streng, gewaltig in ihrem Wollen, unbeweglich und unerbittlich in ihren Beschlüssen, nicht die alles tragende, alles gestaltende, erhaltende und versöhnende Göttin wie die Liebe, sondern die Züchtigerin und Zermalmerin, die weder links noch rechts blickt und mit eiserner Kraft grade durchfährt, wohin sie muß, Sie ist nicht grausam, nicht unerbittlich an ihr selbst, aber sie muß, weil sie muß, und keine Gewalt mag ihr fürchterliches Verhängniß ablenken, als die Gewalt der Liebe. Diese ihre Lieblingsschwester füllt ihr die Brust mit Milde und das Auge mit Thränen und läßt sie aus den Schollen und Felsen, woran sie die irdische Arbeit vollbringt, zu dem Himmel aufblicken und zu dem, was beide himmlischer Verwandtschaft haben.
Doch daß diese beiden Geschwister nicht zu entfernt von einander ständen und zuletzt einander gar entfremdet würden, mußte die dritte Schwester zwischen sie treten und ihre Wege, die sonst in gleicher Linie ewig neben einander hinlaufen würden, sanft zu einander lenken, bis sie endlich fast in Einen zusammenlaufen. Diese Schwester ist die Freiheit, welche die erhabene Bestimmung hat, das Irdische und das Himmlische, die Arbeit und die Freude zu verbinden. Deswegen ist es ihr auch gegeben, in der Mitte zwischen jenen beiden stehend, das Maaß der unendlichen Harmonie zu halten und der Stundenweiser der Zeiten und Orte zu seyn. Sie ist nichts, ja sie ist gar nicht, ohne jene beiden; aber jene würden ohne sie in halber Einzelnheit vergehen oder erstarren. Durch sie werden sie immer erinnert, wer sie sind und wer sie seyn sollen und wie sie nur durch Eintracht etwas Würdiges schaffen können.
Die ersten zwei Göttinnen wandeln lange und oft einzeln und auf jeder ihrer Straßen ist nur ein einzelnes Leben des Sterblichen, das keine irdische Genüge noch Fülle gewinnen mag. Das aber ist das wahre Leben und die wahre Lebensstraße, wann die Freiheit endlich gebietet und die beiden Wege der Liebe und Nothwendigkeit ihr immer hart zur Seite laufen. Dann ist ein wahrer und edler Mensch fertig, zugleich mild und unendlich wie die Liebe und stark und gemessen wie die Nothwendigkeit; es ist ein freier Mensch, ein Gott auf Erden, fertig geworden: der Mensch wandelt zwischen Liebe und Nothwendigkeit unter dem Schirm der Freiheit.
Der Mensch wird nur ganz erzogen durch Liebe und Nothwendigkeit zugleich, halb erzogen durch eine von beiden. Der ganz erzogene Mensch betet endlich die Freiheit, als seine höchste irdische Göttin an, der halb erzogene gelangt selten zu ihrer Ahndung, nie zu ihrem Besitz, sein Leben wird wankend, unglückselig und zwieträchtig.
Wenn die Menschen, welche erziehen sollen, nicht wissen noch ahnden, was Liebe, was Nothwendigkeit, was Freiheit ist, wenn sie wegen Sündlichkeit und Unglauben die hohen überirdischen Gestalten nicht mehr in ihrer Reinheit und Majestät anzuschauen wagen, wenn die Liebe in bewußter Tändelei äffelt und empfindelt, die Nothwendigkeit faselt und schulmeistert, wenn die Freiheit im fernen Hintergrunde nur als eine Halsbrecherin und Mordbrennerin gezeigt wird, dann gewinnt die Bastardschwester der heiligen Drei die Herrschaft: die Eitelkeit oder Schwäche, welche mit allen Larven tändelt und mit allen Gestalten gaukelt; aber Ruhe, Freude, Stolz nimmer erkennen noch das festhalten mag, wodurch das irdische Daseyn schon ein himmlisches werden kann.
Liebe und Nothwendigkeit sind die großen Erzieherinnen und Schöpferinnen des Menschen und aller Dinge; beide vereint erziehen ganz, beide einzeln erziehen halb. Wer frei und freudig, muthig und stolz durch das Leben wandeln will, muß sie beide innig empfunden und erkannt haben. Ich sang einst von ihnen, und wahr bleiben die Reime:
Zwei Töchter hat die Gottheit ausgeschickt
Die Welten und die Herzen zu erschaffen,
Die eine blicket ernst und träget Waffen,
Die andre ist mit Huld statt aller Wehr geschmückt;
Sie ist die erste, heißet Liebe,
Die zweite heißt Nothwendigkeit,
Sie wandeln Hand in Hand und kennen keinen Streit
Und einem unbekannten Triebe
Verdanken sie die Einigkeit.
Durch ihre Eintracht leuchten alle Sonnen
Und laufen alle Erden um,
Durch sie nur wird hier unten Luft gewonnen
Und oben das Elysium,
Sie kommen huldreich auf die Wiege
Herab beim ersten Sonnenschein
Und segnen fromm die holden Züge
Des Säuglings für das Leben ein.
So wie der Mensch geboren wird, empfangen ihn diese beiden großen Göttinnen an der Schwelle des Lebens, oder vielmehr ihre irdischen Bilder empfangen ihn. Diese heißen Mann und Weib, oder richtiger Vater und Mutter: der Mann das Bild und der Vertreter der Nothwendigkeit, das Weib das Bild und die Vertreterin der Liebe. Zwischen diesen beiden Gestalten steht das Kind, und durch sie wird es den beiden höheren Gewalten zugeführt, die es halten und tragen sollen, wann diese ersten Stützen es nicht mehr können.
Wir wollen sehen, wie die Natur den Menschen er zieht und wie die Kunst ihn erziehen soll.
Die Mutter ist die Liebe. In ihr wohnen die Bilder der dunkeln und geheimen Kräfte Gottes und der Natur: alles Gebährende, Erhaltende, Versöhnende, alles Fromme, Gläubige, Verborgene. Auf dem Mutterschooße und an der Mutterbrust empfängt das Kind den ersten Glauben, die erste Religion, den ersten Muth des Unendlichen und Großen. Der Vater ist die Nothwendigkeit. In ihm wohnen die Bilder der klaren und gemessenen Kräfte Gottes und der Natur: alles Gestaltende, Ordnende, Verwandelnde, Zerstörende, alles Feste, Strenge, Fürchterliche. An dem Vater begreift das Kind die Gewalt des Maaßes und Gesetzes, es begreift an ihm den strengen und furchtbaren Gott, der strafen muß. Die Mutter ist der Schatten der unendlichen Milde, der Vater der Schatten der unendlichen Heiligkeit; die Mutter ist das Bild der inneren, der Vater ist das Bild der äußeren Welt.
So scheint es und so ist es in dem Leben natürlicher und kräftiger Menschen.
Zwischen diesen beiden Gestalten und Mächten wandelt das Kind glücklich und unbewußt seine ersten Jahre der Unschuld hin, am glücklichsten, wenn es ein Kind bleiben darf. Die ersten acht Jahre seines Lebens soll es nichts thun als leben und spielen. Seine Aeltern, Gespielen gleiches Alters, und die heiligste und frommste Gespielin, die Natur, sollen allein mit ihm leben, mit ihm spielen und es unterweisen. Das Kind wird noch nicht durch Buchstaben unterwiesen, aber es lernt in diesen ersten Lebensjahren unendlich viel: es lernt Gott, es lernt den Menschen, es lernt das Leben kennen. Dieser große Unterricht macht sich von selbst, wenn das Menschenleben um das Kind wahr, züchtig und edel ist, und wenn man Sonne und Luft, Blumen und Bäume, Vögel und Thiere mit ihm spielen läßt. In diesen Jahren wird der große Bau des Lebens, worauf der künftige Mann mit festen Füßen stattlich stehen soll, unsichtbar gegründet. Die Unterweisung durch den Buchstaben ist in dieser Zeit fast immer vergeblich, häufig auch gefährlich, die Unterweiser seien denn die kindlichsten und frommsten Seelen und der Unterricht werde denn eine einzige goldmündige Fabel. Die Kinder werden durch diesen voreiligen Unterricht leichtlich zu sehr gereizt, zu früh sich bewußt, also klügelisch, geschwätzig, eitel, einbildisch; sie verlieren die schöne Einfalt des Glaubens, die auch im Lernen und Begreifen Wunder thut; sie werden dumm, weil man sie so früh klug machen will. In dem funfzehnten, sechszehnten Jahre werden sie vielleicht als seltene Muster von Geist und Bildung angestaunt werden, aber im fünfundzwanzigsten Jahre würden sie schon jedem Biedermann, die eitlen Thoren, oder die flachen Spötter und Witzbolde zur Schau stellen.
Von dem achten bis funfzehnten Jahre ist das Knabenalter, ein fröhliches, muthiges Alter, wo die geistigen und leiblichen Kräfte mit Gewalt nach Entwickelung streben und sich in freudiger und genialischer Wildheit tummeln: eine glückselige, ja eine wahrhaftig göttliche und bedürfnißlose Zeit, welche alles Zarte und Milde des menschlichen Gemüthes zu begraben scheint, da sie es drinnen doch am kräftigsten ausbildet. Das Knabenalter ist der unsichtbare Strom, der eine Zeitlang unter der Erde hinfließt, damit er bald desto mächtiger wieder hervorbrause. Das Kind scheint sich jetzt oft selbst von der Liebe und von allen zarteren Geistern der Kindheit zu lösen, es scheint bloß wild, kalt, spröde. Aber es scheint nur so. Die Aeltern sollen sich das nicht irren noch grämen lassen. Dieses fröhliche Alter ist die Zeit, wo die Uebungen und der Unterricht beginnen. Diese müssen ernst und strenge getrieben und behandelt werden, denn der Knabe soll die Nothwendigkeit und Heiligkeit der Arbeit lernen. Aber zu waidlichen Spielen, zu allen leiblichen Künsten und zu allen wilden Entwickelungen, welche die Genossenschaft gleiches Alters liebt, soll reichlich Zeit und Raum gelassen werden. Wir wollen lieber solche Menschen, die viel können und wagen, als die viel wissen und denken: im fünfundzwanzigsten und fünfunddreißigsten Jahre werden die Könnenden und Wagenden auch als die Wissendsten und Denkendsten erscheinen. Uebrigens ist der Unterricht bloß mythisch, d.h. erzählend und weisend, nicht logisch, d.h. urtheilend und klügelnd. Solches gehört nicht für dieses Alter und macht künftige Schwätzer oder Tröpfe. So mythisch lehre man die Sprachen, so die Geschichte, Erdbeschreibung, Naturgeschichte, so, wie weit es angeht, selbst die logische Mathematik. Die Knaben können sehr viel lernen, aber sie sollen nicht wissen, was sie gelernt haben.
Mit dem funfzehnten, sechszehnten Jahre kömmt eine neue Epoche, die Epoche des Jünglingsalters. Der Strom, welcher sieben, acht Jahre verborgen floß, dringt wieder an die Sonne hervor und brauset in herrlicher Fülle dahin. In dem Jüngling verbinden sich das Kind und der Mann, er ist die Mitte von beiden. Nun bekömmt die Mutter ihren Sohn wieder: alle unergründlichen und unendlichen Gefühle, Triebe und Kräfte erwachen in ihm, er hat Thränen, er hat Milde, er hat Liebe, die er nicht lassen kann, er sinkt wieder an die liebende Mutterbrust, und die Wildheit des Knaben wird ein stolzes Feuer, die Kälte desselben eine fromme Sehnsucht. Nun verlangt den Sohn nach dem Vater, er will ein klares Bild des Lebens, er will einen freudigen und ehrenfesten Mann sehen, er will lernen, wodurch Männertugend und Würde behauptet wird: die große Unterweisung beginnt. Die Religion der kindlichen Liebe, die er zuerst auf dem Mutterschooße fühlte, die unbekannte Strenge des Schicksals, die ihm von der gebietenden Stirn des Vaters entgegen leuchtete, wollen jetzt ihr Maaß und ihr Verhältniß haben, oder der Jüngling wird ein wilder Wüstling oder ein dumpfer Fantast. Nun ist die Zeit da, wo die Seele durch Grundsätze gestählt werden muß, damit sie dem Laster nicht erliege; wo die ewige und unsterbliche Geschichte, männlich, herrlich und heilig, wie sie ist, gelehrt werden muß; wo der unbekannte Gott, den das Kindlein ahndete und wovon der Knabe kaum wußte, mit hohem christlichen Sinn als der Halter alles Lebens gezeigt werden muß. Das Wort und die That, das Beispiel und die Lehre müssen jetzt Hand in Hand gehen; frische und reine Jünglinge, ernste und tapfere Männer müssen mit dem Jüngling leben; strenge Uebungen, hohe Gefühle, gewaltige Gedanken müssen in gleichem Maaße emporsteigen, wie wilde Leidenschaften, fürchterliche Triebe, unbändiger Trotz sich aufbäumen wollen. Führe den Jüngling so bis an das achtzehnte, zwanzigste Jahr und laß ihn dann frei ins Leben hinein. Er wird viel straucheln und sündigen können, er wird doch zuletzt ein Mann seyn.
Ich habe dies Allgemeine hingeworfen, ein Bild eines würdigen Lebens, wie es mir vorschwebt und wie ich sein Gleichniß hie und da gottlob in der Erfahrung gefunden habe. Ich komme jetzt auf das Besondere, auf die Frage: Wie soll man Fürsten erziehen? Ich sagte gleich anfangs, auch für sie müsse gelten, was für alle gelte, weil sie Menschen sind. Wenn wegen mancher unbiegsamen Verhältnisse sie andern Menschen nicht gleich erzogen werden können, so bleibt es doch eine ewige Wahrheit, daß sie am glücklichsten und tüchtigsten werden müssen, je ähnlicher sie andern wackern Menschen erzogen sind.
Hier sage und bekenne ich zuvörderst die traurige Wahrheit, daß sehr wenigen Sterblichen das Loos fällt, nach dem Bilde erzogen zu werden, das ich oben aufgestellt habe. Zu einer solchen Glückseligkeit wird so vieles erfordert, das sich auf Erden selten beisammen findet. Doch werden Viele in einer großen Annäherung zu den angegebenen Verhältnissen und Forderungen erzogen. Das sage ich auch und bekenne es der Menschheit zum Trost und Gott zu Ehren, daß in der Welt selbst so viele unsichtbare Tugend, Treue und Zucht lebt und dem Menschen von seinem himmlischen Ursprung her noch innewohnt, daß Viele, welche nach gewöhnlichen Begriffen gar nicht erzogen heißen können, doch wirklich wohl erzogen scheinen: d.h. das Leben selbst hat sie erzogen. Dies sage ich nicht umsonst, denn es hat große Beispiele solcher Fürsten gegeben. Ich nenne nur den großen König Karl den Elften von Schweden, den seine Großmutter und die Reichsräthe, damit sie ihn künftig leichter regieren könnten, in völlig roher Jugend aufwachsen ließen, und der doch der Ordner und Wiederhersteller des Reichs ward. An Peter den Großen will ich nicht erinnern, weil ein solches Genie ein seltener Komet ist. Daraus springt auch die große Wahrheit hervor, daß es viel besser ist, den Menschen von Gott, Natur und Leben (was die Leute gewöhnlich Zufall nennen) ohne alle Unterweisung und alle Richtung erziehen zu lassen, als ihn halb oder gar verworren zu unterweisen und zu richten. Die angeborne Kraft bleibt in dem ersten Fall oft herrlich lebendig und öffnet sich doch große Bahnen, in dem zweiten Fall wird sie ermattet, verdunkelt, vereitelt.
Jetzt gehe ich grade auf die Sache und werfe den kurzen Entwurf hin, wie ich das Kind erzogen und gebildet wissen will, das für den erhabenen Beruf geboren ist, einst der Leiter, Beschirmer und Beherrscher von Hunderttausenden, ja von Millionen Menschen zu seyn.
Die Mutter des Prinzen hat keine süßere noch höhere Pflicht, als ganz seine Mutter zu seyn; sie soll es bleiben und wird es bleiben wollen. Wir haben also die Liebe für das Kind. Sein Vater kann ihm nur selten die Nothwendigkeit seyn; sein hohes Amt wird ihn fast immer daran hindern. Man suche also einen Mann, der dem Kinde seine Stelle ersetze, einen biedern, frommen, tapfern Mann, der, wenn nicht fürstlich geboren, doch fürstlich gesinnt ist. Diesem werde das Kind vertraut, als sey es sein eigenes Kind; er stehe als der Freund des Fürsten und der Fürstin, als ein edles Glied des Hauses da. Das Kind wird durch Liebe und Ehrfurcht bald wie sein eigenes Kind seyn, wenn er von außen und innen der Mann ist, wie wir ihn fordern.
Ist diese Ordnung da, so stehe das Kind einfach und natürlich darin, spiele, lebe, freue sich wie andere glückliche Kinder, genieße Licht und Luft, Sonnenschein und Regen, Spiele und Scherze, wie es allen andern Sterblichen vergönnt ist. Damit es sich seine ersten acht Jahre frei und fröhlich entfalten könne, versage man ihm nicht, was alle Kinder so heftig begehren und begehren müssen: Gesellschaft. Das Kind muß Gespielen seines Alters haben und behalten. Drei bis vier gesunde und schöne Kinder werden ihm zugesellet, durchlaufen mit ihm alle Stufen des Alters und der Entwickelung und Unterweisung, und werden erst in den Jahren entlassen, wo andere Kinder, die auch Genossen Eines Hauses und Einer Erziehung gewesen sind, sich von einander zu trennen pflegen, damit jeder für sich seinem besondern Berufe folge. Diese junge Menschengesellschaft ist dem Prinzen zu einem lustigen und freudigen Leben durchaus nothwendig; denn sonst würde sein Daseyn gleich im Anfange verkümmert und vereinzelt. Warum es in einem höheren Sinne nothwendig ist, das werde ich bei dem Jünglingsalter klarer als die Sonne zeigen.
Eine Unbequemlichkeit indessen bleibt bei diesem und dem folgenden Leben des Kindes immer, die, daß man es nicht ganz unbefangen leben lassen darf. Sein Leben ist ein theures und kostbares Leben, es kann dem Zufall nicht preisgegeben werden, wie das Leben anderer Kinder; es muß mehr behütet und bewacht werden. Dies ist wahr; doch läßt sich diese Wache und Hut, wenn man die rechten Wächter und Hüter hinstellt, so einrichten, daß das Kind mit der Natur und mit seinen Gesellen spielen, und sich gleich den Blumen des Feldes in Freude und Luft entfalten kann, ohne daß seiner unschuldigen Unbewußtheit und Unbefangenheit zu sehr geschadet werde. Das ist aber bei dieser ungewöhnlichen Freiheit, worin wir den Prinzen, als in dem Element einer großen Seele, leben und weben lassen wollen, am wenigsten zu fürchten, daß er der Verführung und dem Verderben zu früh preisgegeben werde. Die Welt Gottes ist nicht so voll Sünde und Verderben, als diejenigen glauben, welche sie nur aus der Ferne kennen. Ist Liebe und Zucht im Hause, so löscht sie leicht die kleinen Flecken aus, die auf das reine Bild gesprützt scheinen. Dies Bild ist auch durch Gottes wunderbare und wunderweise Ordnung der Natur von der Art, daß die Flecken in diesen Lebensaltern nicht leicht durch die Oberfläche dringen. Das ist aber das Unglücklichste und heckt die Eitelkeit und Sünde aus, wenn der Mensch zu früh von den warmen und liebenden Brüsten der lebendigen Natur weggerissen wird.
Das Knabenalter des Prinzen wird gehalten und unterwiesen, wie ich oben von solchen Kindern gezeigt habe, welche Kinder freier und wohlhabender Aeltern sind. Weil wir den Menschen durchaus rein und ganz und heilig lassen wollen, wie Gott ihn geschaffen hat, so soll der Knabe ungestört bleiben, und kaum ahnden, wozu er bestimmt ist. Daß er einst als ein hochgesinnter Mann stehen soll, mag er frühe ahnden und wissen, damit seine Sinne und Gedanken wie junge Sonnenadler von Kindauf hoch fliegen. Er wird unterwiesen, wie ein edler Mensch unterwiesen werden muß. Er lernt auf die oben angegebene Weise so sehr als möglich mythisch Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte, Mathematik; er lernt seine Muttersprache zuerst und recht, auch das Latein, eine schöne Regel der Ordnung, des Ernstes und der Kraft und eine Quelle großer Geschichten und stolzer Muster der Hoheit: Sallustius und Tacitus werden dem Mann hohe Gestalten zeigen können; er freut sich wie andere Knaben an Mährchen und Liedern; er freut sich, wenn er Talent hat, dieser und jener schönen Kunst. Der Unterricht und seine Art sey ernst und streng, nicht tändelnd und spielend, wie die äffelnden und faselnden Meister oft mit Fürstenkindern thun. Das Kind soll früh lernen, wie heilig und würdig die Arbeit ist. Die Spiele und Leibesübungen gehen mit dem Unterricht in gleichem Maaße und sind frei und fürstlich, daß sich eine edle und feste Gestalt entwickeln könne. Wir wollen keinen eitlen Vielwisser, keinen bestäubten Pedanten, sondern wir wollen einen kräftigen, lebendigen Menschen bilden. Der Unterricht und die Behandlung des Unterrichts und seiner Gegenstände aber sey durchaus ohne Wen