Corinna oder Italien
Dreizehntes Buch: Der Vesuv und die Umgegend von Neapel.
Zweites Kapitel
Am nächsten Morgen wollte Corinna es über sich gewinnen, ihr Versprechen zu halten, und obwohl die ihr gestern gewordene nähere Kenntniß von Lord Nelvils Charakter ihre Ungewißheit steigerte, verließ sie doch, die niedergeschriebenen Erlebnisse in der Hand, zitternd, aber entschlossen sie abzuliefern, ihr Zimmer. Sie betrat den Salon des Gasthofes, in welchem Beide wohnten. Oswald befand sich schon dort; er hatte soeben Briefe aus England erhalten, und einer derselben, welcher auf dem Tische lag, zeigte Corinna eine Handschrift, bei deren Anblick sie in unaussprechliche Verwirrung gerieth; sie fragte, von wem der Brief sei. »Von Lady Edgermond«, erwiderte Oswald. »Sie stehen mit ihr im Briefwechsel?« unterbrach Corinna. »Lord Edgermond war der Freund meines Vaters; und weil der Zufall das Gespräch daraufführt, will ich Ihnen nicht verhehlen, daß Lord Nelvil wohl den Gedanken hatte, Lucile Edgermond dürfte einst eine passende Frau für mich sein.« – »Großer Gott!« rief Corinna und sank, fast bewußtlos, auf einen Stuhl.
»Woher diese schmerzliche Aufregung?« fragte Lord Nelvil; »was fürchten Sie von mir, Corinna, da ich Sie mit solcher Anbetung liebe? Wenn mein sterbender Vater es mir geboten hätte, Lucile zu heirathen, dann allerdings würde ich mich nicht für frei halten können, dann würde ich aber auch Ihrem unwiderstehlichen Zauber entflohen sein; nun hat er mir diese Wahl ja nur angerathen, und selbst hinzugefügt, daß man Lucile noch nicht beurtheilen könne, da sie noch ein Kind sei. Ich selbst habe sie nur einmal gesehen; sie war damals zwölf Jahr alt. Auch bin ich vor meiner Abreise keinerlei Verpflichtung gegen Lady Edgermond eingegangen, und die Schwankungen, die Unruhe, welche Sie an mir bemerkt haben, waren einzig aus des Vaters Wunsch entsprungen; denn ehe ich Sie kannte, hoffte ich ihn erfüllen zu können. Wie unbestimmt er auch geäußert war, es schien mir, als übe ich eine Art von Buße, wenn ich den Einfluß seines Willens auf meine Entschlüsse über seinen Tod hinaus verlängerte. Sie aber haben diesen Vorsatz besiegt, Sie haben mein ganzes Selbst überwunden, und mir bleibt nur noch, Ihre Verzeihung zu erstreben, für meine Schwäche und Unentschlossenheit. Corinna! nach einem Schmerz, wie ich ihn empfunden, richtet man sich nie ganz wieder auf. Er läßt die Hoffnungen verwelken, er giebt ein Gefühl peinlicher, düstrer Schüchternheit. Das Schicksal hat mir so wehe gethan, daß selbst jetzt, wo es mir das köstlichste Gut bietet, ich ihm noch nicht trauen mag. Aber alle Zweifel klären sich vor Dir, Corinna; ich bin Dein auf immer! ganz Dein! Dich würde mein Vater für mich gewählt haben, wenn er Dich gekannt hätte, Dich würde er.......–«
»Halten Sie ein – ich flehe Sie an – sprechen Sie das nicht aus!« rief Corinna unter Thränen.
»Was können Sie dagegen haben«, fragte Oswald, »wenn es mir Freude macht, Sie in Gedanken neben meinen Vater zu stellen, und so in meinem Herzen Alles, was mir lieb und heilig ist, zu vereinen?« – »Sie dürfen es nicht, Oswald; ich weiß gewiß, daß Sie es nicht dürfen!« – »Aber was können Sie mir denn mitzutheilen haben?« rief Lord Nelvil erschreckt; »Geben Sie mir die Blätter, die Ihre Vergangenheit erzählen, geben Sie sie mir!« – »Sie sollen sie erhalten«, entgegnete Corinna, »aber ich bitte noch um acht Tage Frist, – nur acht Tage. Was ich eben erfuhr, nöthigt mich, noch ausführlicher zu sein.« – »Wie!« sagte Oswald, »in welcher Beziehung könnten Sie zu......« – »Verlangen Sie jetzt keine Antwort«, unterbrach ihn Corinna; »Sie werden bald Alles wissen, und dies ist vielleicht dann das Ende, das furchtbare Ende meines Glücks. Vorher aber wünsche ich, daß wir zusammen noch dieses schöne, neapolitanische Land bewundern, und uns mit noch süßem Gefühl, noch empfänglicher Seele an seiner entzückenden Natur erfreuen. Ich will hier, in diesen holden Gefilden, den feierlichsten Lebensabschnitt feierlich begehen. Sie müssen eine letzte Erinnerung von mir sich bewahren, – von mir, wie ich war, wie ich immer geblieben wäre, wenn mein Herz sich hätte enthalten können, Sie zu lieben!«.
»O Corinna!« rief Oswald, »was wollen Sie mir mit diesen unheilkündenden Worten andeuten? Es ist doch unmöglich, daß ich etwas erführe, was meine Liebe, meine Bewunderung zu erkälten vermöchte! Wozu mir noch acht Tage dieses ängstigende Geheimniß vorenthalten, das eine Schranke zwischen uns aufzurichten scheint?« – »Ich will es so, theurer Oswald! Verzeihen Sie mir diesen letzten Gebrauch meiner Macht; bald werden nur Sie allein über uns Beide entscheiden. Ich werde mein Loos, wenn es ein grausames ist, ohne Murren von Ihren Lippen hinnehmen, denn mich fesseln auf dieser Erde keine Gefühle, keine Bande, die mich verurtheilen, ohne Ihre Liebe zu leben.« Nach diesen Worten ging sie hinaus, Oswald, der ihr folgen wollte, sanft mit der Hand zurückweisend.